Ein differenzierter Dialog

DAAD

Die Teilnehmer des Masterstudiengangs "Intellectual Encounters of the Islamicate World" bei ihrem Treffen mit dem Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann

Junge Religions- und Geisteswissenschaftler der Hebräischen Universität Jerusalem, der palästinensischen Al-Quds-Universität und der Freien Universität Berlin besichtigten den deutschen Bundestag und trafen sich mit MdB Dr. Stefan Kaufmann zum Dialog über deutsche Politik und das Zusammenleben der Kulturen und Religionen. Möglich machte das der einjährige Masterstudiengang „Intellectual Encounters of the Islamicate World“, der vom DAAD aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird. Seit 2013 verbindet der Studiengang Israelis, Palästinenser und Deutsche mit Experten der Ideen- und Geistesgeschichte des islamisch geprägten Raumes im Mittelalter – über eine Internet-Liveschaltung und in Präsenzphasen in Istanbul und Berlin.

Das Berliner Reichstagsgebäude war in rotes Abendlicht getaucht, als rund 15 Akademiker im deutschen Bundestag von Dr. Stefan Kaufmann, Mitglied des Deutschen Bundestags, empfangen wurden – eine besondere Gruppe auf dem Weg zu einem besonderen Treffen.

Sie sind Postgraduierte aus Israel, Palästina und Deutschland und beschäftigen sich intensiv mit den drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum – ein Thema mit hohem Konfliktpotenzial im tagesaktuellen politischen Geschäft. Aber in ihrem Masterstudiengang „Intellectual Encounters of the Islamicate World“ pflegen sie den neugierigen und differenzierten Dialog über die Geschichte eines friedlichen Miteinanders der Religionen. Sie erforschen den historischen Austausch im Mittelalter, debattieren geistesgeschichtliche Ideen und pragmatische Konfliktlösungen im täglichen Umgang der Religionen miteinander – und deshalb interessieren sie sich füreinander, die Studierenden und der deutsche Politiker.

Wichtiger historischer Ansatz

„Das ist ein wirklich spannender, innovativer internationaler Studiengang“, betonte Stefan Kaufmann nach dem Treffen, bei dem er den Teilnehmern des Masterstudiengangs die Arbeit des deutschen Bundestags und seinen eigenen Alltag im Dienst des politischen Dialogs erläutert hatte. Der CDU-Bundestagsabgeordnete, der sich unter anderem im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung engagiert, unterstützt persönlich die vom DAAD geförderte Hochschulkooperation. „Wir brauchen als Gesellschaften diesen Ansatz, das Thema des interkulturellen und interreligösen Dialoges historisch anzugehen, um vor diesem Hintergrund auch aktuelle Fragen zu beleuchten.“

Aufschlussreiche Innen- und Außenansichten

„Die Erreichbarkeit deutscher Politiker und die Innenansicht in die Arbeit des deutschen Parlamentes waren sehr spannend für mich“, findet ihrerseits Aseel AlFataftah. Die Palästinenserin aus Jerusalem studierte an der Al-Quds-Universität und schätzt nun den trilateralen Masterstudiengang wegen solcher Chancen und dem Umgang mit den Kommilitonen. „Ich lerne im Dialog mit ihnen täglich mehr über meine eigene Kultur.“ Als Muslima habe sie zum Beispiel bisher nicht gewusst, wie sehr ihre Religion auch von Judentum und Christentum beeinflusst wurde. „Viele traditionelle Feste, die wir feiern, laufen in ihren kulturellen Wurzeln in der mittelalterlichen islamischen Periode zusammen und entfalteten von dort aus ihre reiche Varianz.“

Quelle für neue Einsichten

Auch für Melhem Bader, der an der Hebräischen Universität Jerusalem Philosophie und Vergleichende Religionswissenschaft studiert hat, ist der Studiengang unerschöpfliche Quelle für neue Einsichten. „Das Programm zielt auch auf eine Lücke in der Erforschung der Geistesgeschichte zwischen Klassik und Moderne – es ist fantastisch, von international forschenden Experten über Philologie, Religion und Politik im Mittelalter zu lernen.“ Das Internet macht es möglich. Mehrmals in der Woche treffen sich alle auf ihrer virtuellen Lernplattform. Zugeschaltet sind dann auch ihre Dozenten – acht ausgewiesene Kenner mittelalterlicher Religions- und Geistesgeschichte mit Fokus auf den interkulturellen Dialog aus renommierten Universitäten der ganzen Welt. „Es ist faszinierend, wie viel Wissen über den Islam auch unsere nicht-muslimischen Professoren vermitteln und wie harmonisch der Umgang ist“, sagt die Deutsche Esra Ukallo, die als praktizierende Muslima in Istanbul islamische Theologie studiert hat.

Inhaltlich reicht die Auseinandersetzung von der Frage nach der Einheit Gottes, die von Juden, Muslimen und Christen historisch unterschiedlich beantwortet wurde, bis hin zu ganz praktischen Fragen einer gemischten Nachbarschaft, sagt Dr. Markus Wachowski, der wissenschaftliche Direktor des Online-Studiengangs von der Freien Universität Berlin. Dürfen Muslime und Juden, die einen unterschiedlichem rituellen Umgang mit Wasser pflegen, zum Beispiel aus einem Brunnen schöpfen? Was heute beinahe unmöglich erscheint, fand damals Lösungen, sagt Wachowski. Aktuelle Politik schwingt also indirekt immer mit. „Aber der Studiengang lenkt den Blick in der Betrachtung historischer Verhältnisse auf eine aktive, sehr wertschätzende und konstruktive Auseinandersetzung zwischen den Gemeinschaften – das macht ihn einzigartig.“

Besondere Brücken bauen

„Mit dem Besuch im Bundestag haben wir eine Brücke zwischen akademischer und politischer Arbeit geschlagen – das ist sehr wichtig für ein solches Projekt“, sagt der zufriedene DAAD-Projektkoordinator Muhammad Khaskeia am Abend auf dem Dach des Reichstagsgebäudes. Und auch Stefan Kaufmann zeigte sich beeindruckt von seinen aufmerksamen Zuhörern. „Die Fragen nach Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, nach Migration, Integration und dem Zusammenleben der Menschen in Deutschland waren differenziert und gingen tief - das entspricht dieser diversen und gebildeten Gruppe Studierender.“

Bettina Mittelstraß (5. März 2015)