DAAD in Brasilien: „Ein anderer Internationalisierungsansatz“

DAAD/Thekla Ehling

Deutsch-brasilianischer Austausch: Stipendiaten des Programms "Wissenschaft ohne Grenzen"

Brasiliens Ziele im akademischen Austausch bleiben außerordentlich: 2015 läuft nicht nur das milliardenschwere Stipendienprogramm „Wissenschaft ohne Grenzen (Ciência sem Fronteiras)“ weiter, es ist mittlerweile auch um das Programm „Sprachen ohne Grenzen (Idiomas sem Fronteiras)“ ergänzt worden. Wie geht es weiter in dem Land, das zuletzt von einem hart geführten Präsidentschaftswahlkampf und einem großen Korruptionsskandal geprägt wurde? Ein Interview mit Dr. Martina Schulze, der neuen Leiterin der DAAD-Außenstelle Rio de Janeiro.

Frau Dr. Schulze, Brasilien wurde in den vergangenen Jahren als aufstrebende Volkswirtschaft und neuer „Global Player“ wahrgenommen. Große Protestdemonstrationen im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft, ein stockendes Wirtschaftswachstum, aber auch der Präsidentschaftswahlkampf haben zuletzt Schatten auf dieses positive Bild geworfen. Was sind Ihre Eindrücke von der Lage im Land?

Martina Schulze: Nachdem der Präsidentschaftswahlkampf vorbei ist und Dilma Rousseff am 1. Januar ihre zweite Amtszeit angetreten hat, wird deutlich, dass Brasilien noch einen weiten Weg vor sich hat. Aktuell ist der Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras ein großes Thema. Generell kämpft Brasilien mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. So ist auch unsicher, ob das Land so viele finanzielle Mittel in den akademischen Austausch investieren wird, wie zunächst beabsichtigt. Das betrifft wohl auch das milliardenschwere Stipendienprogramm „Wissenschaft ohne Grenzen“, für das der DAAD Kooperationspartner in Deutschland ist. Nichtsdestotrotz ist „Wissenschaft ohne Grenzen“ außerordentlich erfolgreich und hat Brasiliens Universitäten in aller Welt auf den Plan gehoben. Zugleich steht es für einen anderen Internationalisierungsansatz als wir ihn von der deutschen akademischen Landschaft kennen.

Wie zeigt sich dieser besondere Ansatz?

Brasilien setzt sehr stark darauf, dass ehemalige Teilnehmer von „Wissenschaft ohne Grenzen“ als Rückkehrer die heimische Hochschullandschaft internationalisieren, indem sie diese durch ihre persönlichen Erfahrungen prägen und verändern. Und die Zahlen sind ja auch beeindruckend: Allein von 2011 bis 2014 wurden 100.000 brasilianische Studierende und Wissenschaftler, insbesondere Nachwuchswissenschaftler, mit „Wissenschaft ohne Grenzen“ in alle Welt entsandt. Diese Zahl soll bis Ende 2018 noch einmal erreicht werden. Deutschland zählt nach wie vor zu den wichtigsten Zielländern für den Austausch. Verbunden mit „Wissenschaft ohne Grenzen“ ist nun auch das Programm „Sprachen ohne Grenzen“, das die Fremdsprachenkenntnisse von Akademikern wesentlich verbessern soll. Der Schwerpunkt liegt hier zunächst auf dem Englischen; „Sprachen ohne Grenzen“ soll aber auf andere Sprachen ausgeweitet werden, auch auf Deutsch. Zugleich baut Brasilien die Möglichkeiten für Ausländer aus, an den Hochschulen des Landes Portugiesisch zu lernen. Auch so will man international attraktiver werden. Das ist natürlich ein anderer Ansatz als in Deutschland, wo ihm Rahmen der Internationalisierung zahlreiche englischsprachige Studiengänge eingeführt wurden.

Wie wirbt der DAAD in Brasilien für Internationalisierung?

Wir werben dafür, Internationalisierung nicht nur an der Förderung einzelner Personen festzumachen, sondern auch in übergeordneten Zusammenhängen zu sehen. Ein etabliertes, erfolgreiches Programm, das wir seit über 20 Jahren mit unserem Partner CAPES, der Agentur des brasilianischen Bildungsministeriums, anbieten, ist PROBRAL. Ziel des bilateralen Programms ist die Intensivierung der Kooperation zwischen brasilianischen und deutschen Forschergruppen und das Heranführen von wissenschaftlichem Nachwuchs an die internationale Forschungszusammenarbeit. Wir fördern die Mobilität in beide Richtungen. Und wir begrüßen es ausdrücklich, wenn aus den PROBRAL-Projekten noch umfangreichere Vorhaben entstehen.

Was sind weitere Säulen der deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit?

Zukunftsfähige Kooperationen zwischen deutschen und brasilianischen Forschern fördern der DAAD, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und CAPES auch mit dem Programm „Neue Partnerschaften (Novas parcerias, NoPa)“, das 2013 noch um den Ableger „integriertes NoPa“ erweitert wurde. Hier stehen Themen wie Solarkraft und Biogas-Nutzung im Vordergrund – passend zum Energie-Schwerpunkt der Strategischen Partnerschaft zwischen Brasilien und Deutschland.

Der DAAD ist in Brasilien nicht nur durch die Außenstelle Rio de Janeiro und das Informationszentrum São Paulo präsent: Neun DAAD-Lektoren unterrichten an sieben verschiedenen brasilianischen Universitäten. An der Universität São Paulo wurde in Partnerschaft mit dem DAAD vor einigen Jahren der Carl Friedrich Philipp von Martius-Lehrstuhl eingerichtet, um Forschung aus Deutschland, insbesondere über Europa, in Brasilien sichtbar zu machen. In Brasilien ist zudem eine Vielzahl von Ortslektoren tätig, die zwar nicht direkt vom DAAD gefördert werden, die wir aber fachlich unterstützen und weiterbilden.

Sie haben am 1. Oktober 2014 die Leitung der DAAD-Außenstelle Rio de Janeiro übernommen. Inwieweit möchten Sie das Engagement des DAAD in Brasilien ausbauen?

„Deutsch ohne Grenzen“ ist sicherlich ein wichtiges, neues Thema. Hier suchen wir eine engere Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium und CAPES. Ein weiteres zentrales Ziel ist, das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus  in São Paulo (DWIH-SP), in dem der DAAD als Konsortialführer ein Team aus deutschen Hochschulen, Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) anführt, weiter zu stärken: Das DWIH-SP wirbt nicht nur für den Standort Deutschland, sondern initiiert und  ermöglicht auch ganz konkret Kooperationen, zum Beispiel das Joint Venture TraceMi zwischen dem Zentralinstitut für Medizintechnik der FAU Erlangen und einer brasilianischen Medizintechnikfirma oder auch die Zusammenarbeit zwischen dem Netzwerk  forschungsorientierter deutscher Fachhochschulen UAS7 und dem brasilianischen Hochschulverband COMUNG.  

Ein Aspekt, den wir bei unserer Arbeit noch stärker in den Blick nehmen können, ist, dass über zehn Prozent der Brasilianer deutsche Vorfahren haben. Auch hier gibt es Anknüpfungspunkte für tragfähige künftige Netzwerke. Und natürlich möchten wir die brasilianischen DAAD-Alumni-Vereine auf ihrem Weg in die Zukunft unterstützend begleiten und sie zu innovativer Netzwerkarbeit anregen – etwa beim Einsatz Neuer Medien.

Interview: Johannes Göbel (28. Januar 2015)