Historische Wendepunkte, gemeinsame Perspektiven

DAAD/Jacek Ruta

Mitarbeiter des Breslauer Willy-Brandt-Zentrums: Vernetzung in Berlin

Die DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien bilden ein beeindruckendes weltweites Netzwerk. Ihre internationale und thematische Vielfalt wurde während der großen Zentrenkonferenz in Berlin deutlich.

Mehr als dreißig Vorträge auf neun Panels, so dicht und vielfältig war das Programm, das über hundert Teilnehmer aus vierzehn Ländern auf der Konferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien vom 11. bis zum 13. Dezember 2014 in Berlin verfolgten. Der Konferenztitel „Wende-Punkte 1914–2014: Internationale Perspektiven auf Deutschland und Europa“ war inspiriert von den vielen historischen Wendepunkten, an die im Gedenkjahr 2014 erinnert wurde – vom Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkriegs 1914 und 1939 über den Mauerfall 1989 bis hin zur EU-Osterweiterung 2004. „Die Vorträge bringen komplexe Wendeprozesse auf den Punkt“, sagte DAAD-Generalsekretärin Dr. Dorothea Rüland zur Begrüßung im Magnus-Haus in Berlin-Mitte. „Aber“, fügte Rüland hinzu, „natürlich kann man solche Ereignisse erst im historischen Rückblick als Wendepunkte charakterisieren.“ Wie wichtig diese historische Reflexion gerade für Deutschland ist, betonte Nicole Menzenbach vom Auswärtigen Amt: „Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass die Aufarbeitung der Abgründe der deutschen Geschichte uns heute im Ausland Vertrauen einbringt“, sagte die Leiterin des Referats für Wissenschaft und Hochschulen. Und es sei die Forschung im In- und Ausland, die zu dieser Vertrauensbildung beigetragen habe.

Berliner Konferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien

Begegnung: Prof. Dr. Huang Liaoyu (Direktor des ZDS Peking), Dr. Dorothea Rüland, Prof. Dr. Seong-Kyun Oh (Direktor des ZeDES Seoul) und Prof. Dr. Han-Sik Kim (Stellvertretender Direktor des ZeDES Seoul) (Foto: DAAD/Jacek Ruta)

Den Eröffnungsvortrag hielt der renommierte deutsch-amerikanische Zeithistoriker Professor Konrad Jarausch von der University of North Carolina at Chapel Hill. Er rückte die Lebensgeschichten von vier Deutschen, allesamt aufgewachsen in der Zeit der Weimarer Republik, in den Mittelpunkt. Bei allen Unterschieden verlief ihr Leben, wie Jarausch es formulierte, in stetiger „Spannung zwischen öffentlicher Bedrohung und persönlicher Behauptung“, „zwischen Hoffnung und Verzweiflung“. Die Biografien sollten die „Ambivalenz der europäischen Moderne“ unterstreichen, und Konrad Jarausch schloss mit dem Resümee, dass die Dynamik der Modernisierung nur dann Gutes bringen könne, wenn ihre Auswirkungen zivilisatorisch gezähmt würden.

Berliner Konferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien

Gesprächspartner: Prof. Dr. Konrad Jarausch und Prof. Dr. Marc Silberman (Direktor des Center for German and European Studies an der University of Wisconsin-Madison) (Foto: DAAD/Jacek Ruta)

Auch Plattform für aktuelle Themen und Nachwuchsforscher

An den nächsten beiden Tagen präsentierten Wissenschaftler aus den DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien einerseits an Biografien angelehnte historische Forschung, aber auch sozialwissenschaftliche Studien, etwa zum westdeutschen Wohlfahrtsstaat, zur Erinnerungskultur, oder Projekte zur Musik- und Theatergeschichte. Auch ganz aktuelle Ereignisse hatten die Forscher aufgegriffen. So stellte die Doktorandin Josefin Graef vom Institute for German Studies (IGS) der University of Birmingham eine Medienanalyse zum Prozess gegen die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im Panel vor. Aktuelle Forschungsthemen fanden sich auch auf Postern im Foyer des Tagungszentrums in Berlin-Dahlem wieder, wo über zehn weitere Nachwuchsforscher aus den Zentren ihre Arbeiten zur Diskussion stellten.

Das IGS Birmingham gehört zu den sozialwissenschaftlich ausgerichteten Deutschlandzentren und wurde als eines der ersten 1994 gegründet. Seit 1991 hat der DAAD insgesamt 21 Zentren für Deutschland- und Europastudien in den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Polen, Bulgarien, Russland, Israel, China, Japan und Südkorea initiiert und gefördert – das jüngste Zentrum in Seoul wurde erst im Oktober offiziell eröffnet und war in Berlin unter anderem durch zwei Vorträge präsent.

Berliner Konferenz der DAAD-geförderten Zentren für Deutschland- und Europastudien

Austausch auch in den Pausen: Prof. Dr. Beverly Crawford (r., Direktorin des Center for German and European Studies an der University of California, Berkeley) mit Konferenzteilnehmern (Foto: DAAD/Jacek Ruta)

Aktuell bekommen 17 Institute eine Anschubfinanzierung in Höhe von bis zu 250.000 Euro aus Mitteln des Auswärtigen Amtes. Darüber hinaus können sich die Zentren beim DAAD für die Austragung von Summer Schools, Studienreisen oder Doktorandenkonferenzen für Studierende und Nachwuchsforscher bewerben. „Die Zentren bilden aber nicht nur Deutschland- und Europaexperten aus und bündeln interdisziplinäre Forschung zu Zeitgeschichte und Gegenwart, sie sind in ihren Heimatländern darüber hinaus oftmals Ansprechpartner für Politik und Öffentlichkeit“, fasste Konferenzorganisator Christian Strowa vom DAAD-Referat „Auslandsgermanistik und Deutsch als Fremdsprache“ das Spektrum der Aufgaben zusammen.

Wertvolle Polyphonie

Wie wichtig die Vernetzung zwischen den Zentren ist, zeigte die Podiumsdiskussion mit dem diesjährigen wissenschaftlichen Beirat zum Abschluss der Konferenz. Viele Teilnehmer würdigten die lebhaften Debatten, die in den Panels, aber auch in den Pausen stattgefunden hatten. „Ich wünsche mir, dass die Kommunikation unter den Zentren noch besser wird“, sagte Professor Krzysztof Ruchniewicz vom Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau mit Blick auf eine weitergehende inhaltliche Vernetzung. Auf diese setzt auch Dr. Nicholas Martin, der das IGS Birmingham leitet: „Wir müssen Forschungsthemen finden, die für die Unis und für uns interessant sind. Das Netzwerk kann helfen, diese zu identifizieren.“ Für Professor Michael Werner, Direktor des Deutschlandzentrums CIERA in Paris, ist mit dieser Konferenz bereits ein wichtiger Schritt getan: „Es gab eine Polyphonie, die wir bisher nicht hatten“, sagte Werner, „und wir konnten mit unseren unterschiedlichen regionalen und interdisziplinären Perspektiven etwas Eigenes produzieren.“ Was aus dieser besonderen Form der Internationalisierung wissenschaftlicher Perspektiven noch erwachsen kann, wird spätestens in zwei Jahren deutlich werden. Dann, wenn sich die Zentren zur nächsten Konferenz treffen.

Kristina Vaillant (19. Dezember 2014)