''Zwischen Koran und Kafka''

Villa Massimo

Navid Kermani während seines Aufenthaltes in der Villa Massimo

Nur wenige Persönlichkeiten vermitteln auf so beeindruckende Weise wie der Autor Navid Kermani zwischen Kulturen und Religionen - und zeigen dabei solch eine stilistische Brillanz in literarischen, journalistischen und wissenschaftlichen Texten. Erst vor Kurzem erhielt der vielfach ausgezeichnete DAAD-Alumnus den Joseph-Breitbach-Preis und den Gerty-Spies-Literaturpreis. Denkwürdig waren 2014 insbesondere seine Rede zur 65-Jahr-Feier des Grundgesetzes und seine Irak-Reise für den "Spiegel". Ein Porträt.

Er ist Schriftsteller und Orientalist, Reisereporter und Essayist, er schreibt für Zeitungen und Buchverlage, hält Reden zu den vielfältigsten Anlässen – darunter jüngst die große Festtagsrede zur 65-Jahr-Feier des Grundgesetzes im Bundestag, für die ihm mit stehenden Ovationen gedankt wurde. Rhetorisches Geschick, stilistisches Gespür und eigene Erfahrung gehen bei Navid Kermani, der 1967 in Siegen geboren wurde und heute in Köln lebt, Hand in Hand. Mit nicht einmal fünfzig Jahren hat er ein in seiner Vielfalt und Fülle kaum zu überblickendes Werk vorgelegt. Doch sein Credo, dass man dem Eigenen stets mit Skepsis und dem Fremden mit Respekt begegnen müsse, wendet er auch auf sich selbst an.

Sein Opus magnum, der 2011 erschienene Roman „Dein Name“, ist das Monument einer Lebenskrise und ihrer zumindest vorläufigen Überwindung. Auf mehr als 1.200 Seiten erzählt er nicht nur von seiner aus dem Iran stammenden Familie, betrauert Tote und denkt über große Vorgänger nach. Er berichtet auch fünf Jahre lang, vom 8. Juni 2006 bis zum Sommer 2011, aus seinem Alltag mit seinen zahlreichen widersprüchlichen Anforderungen.

Wenn Navid Kermani von sich selbst spricht, dann sagt er nicht einfach nur „ich“, sondern manchmal auch „er“, um die Distanz zwischen demjenigen, der einen Namen hat, und demjenigen, der diese Person beobachtet, zu markieren. In seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen „Über den Zufall“, die das Entstehen seines Romans begleiteten, machte er unmissverständlich klar, dass derjenige, der hier öffentlich seine „Selbstzweifel“ ausbreitet, so wenig mit sich selbst identisch ist wie jeder andere Mensch. Der „Romanschreiber“ ist auch noch vieles andere: „Sohn, Vater, Mann, Liebhaber, Freund, Berichterstatter, Orientalist“.

Bedrohtes Wunder der Vielfalt

Dass Identität nichts Festes ist, sondern sich in verschiedenen Relationen unterschiedlich ausformt, ist für Navid Kermani eine Selbstverständlichkeit. Aufgewachsen in der deutschen Provinz mit aus dem Iran eingewanderten Eltern, gab es für den Arztsohn immer mindestens zwei Welten: die Welt der deutschen Freunde und einer, wie er stets betont, nie als feindlich empfundenen Umwelt, und die von anderen Traditionen geprägte Welt seines islamischen Elternhauses. Als er 1989 als Rucksack-Tourist zum ersten Mal alleine nach Syrien reiste, kam ihm, trotz des diktatorischen Regimes, die Vielfalt der Lebensweisen, der Ethnien und Religionen wie ein Wunder vor. Am deutschen Gymnasium war er der Einzige, der irgendwie „anders“ war. Es ist diese frühe Erfahrung der Vielfalt und des akzeptierten Unterschiedlichseins, die Navid Kermani immer wieder hervorhebt, wenn er über den Nahen Osten spricht. Dass gewalttätig neue ethnisch und religiös begründete Grenzen gezogen werden, betrauert er als großen Verlust. Erst kürzlich reiste er im Auftrag des „Spiegel“ in den Irak, um das Elend der vor dem IS Geflüchteten mit eigenen Augen zu sehen und ihnen eine Stimme zu geben.

Prägende Zeit als DAAD-Stipendiat

Es war bei seinem Aufenthalt in Kairo, wo er Anfang der 1990er-Jahre als Student der Orientalistik vom DAAD gefördert wurde, als ihm zu Bewusstsein kam, dass es eine Aufgabe gibt, die auf ihn wartet. Das Orientalistikstudium hatte er bis dahin wie eine „Fron“ empfunden. Eigentlich wollte er lieber ans Theater gehen. Nun aber, als er in einer Wohnung am Opernplatz mitten in Kairo lebte und jeden Morgen vom Gesang des Muezzins der nahegelegenen Moschee geweckt wurde, fand er sein Thema: die „Schönheit des Koran“, der „gehört, erlebt und genossen werden wollte“, wie er in einem Nachruf auf den befreundeten Islamwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid schreibt.

Seit dieser Weichenstellung sind viele Jahre vergangen. Seine Dissertation im Jahr 1998 trug den Titel „Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran“. Ihr folgte 2005 die Habilitation. Beide Bücher sind so lesenswert wie alle aus der Feder dieses Autors – darunter „Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime“, in dem er klug und kenntnisreich dafür plädiert, die vielfältigen Identitäten der heute in Deutschland lebenden Menschen als etwas Erfreuliches zu sehen.

Vermittler zwischen den Kulturen

Politisches Denken, analytische Fähigkeiten, philologischer Spürsinn und Kreativität gehen bei Navid Kermani eine überaus glückliche Verbindung ein. Zum Vermittler zwischen den Kulturen scheint er geradezu prädestiniert. Doch sein Handwerkszeug schulte er zunächst an der deutschen Literatur, allen voran an Jean Paul, Hölderlin und Kafka. Die Beschäftigung mit dem Koran kam später, auch wenn sein neuestes Buch „Zwischen Koran und Kafka“ heißt. In seinem jüngsten Roman, „Große Liebe“, schreibt er so feurig und leichthändig über die Schulhofliebe eines Fünfzehnjährigen, dass sich seine Begeisterung für die arabisch-persische Mystik auf den Leser überträgt. Zugleich entsteht das gleichermaßen ironische wie beseelte Porträt der 1980er-Jahre in einer westdeutschen Kleinstadt.

Der mit bedeutenden Preisen ausgezeichnete Schriftsteller und Orientalist war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz des Bundesinnenministeriums und hat sowohl einen deutschen als auch einen iranischen Pass. Bei ihm kann man lernen, dass es „den Islam“ nicht gibt. Er existiert in vielen Ausprägungen. Viele Länder hat er bereist – darunter neben Syrien Irak und Iran, Afghanistan, Ägypten, Pakistan, Indien, Indonesien, Israel und Palästina. Er weiß, wovon er spricht, wenn er der deutschen Gesellschaft, deren Grundgesetz er jüngst so subtil gewürdigt hat, immer wieder erklärt, dass ihre relative Homogenität etwas Seltenes ist. Ein wenig mehr Buntheit und Vielfalt würden ihr gar nicht schaden.

Meike Feßmann (11. November 2014)