Sprache der Politik und Literatur

Societäts-Medien/Christina Pfänder

Podiumsdiskussion mit indischen Schriftstellern auf der Frankfurter Buchmesse

International und weltoffen präsentierte sich die 66. Frankfurter Buchmesse in der zweiten Oktoberwoche - und mit ihr der DAAD. Informations- und Künstlergespräche sowie Diskussionsrunden zeugten einmal mehr von der globalen Präsenz der weltweit größten Förderorganisation für den internationalen Austausch von Studierenden, Wissenschaftlern und Künstlern.

Elche. Kälte. Rentiere. Als diesjähriger Ehrengast der Frankfurter Buchmesse hatte Finnland weitaus mehr zu bieten, als die gängigen Stereotype versprechen: vielfältige Literatur, geistreiche Autoren und einen „coolen“ Pavillon, der – zum ersten Mal in der Geschichte der Frankfurter Buchmesse – von Designstudenten betreut wurde. Auf interkulturellen Dialog statt Vorurteile setzte auch der DAAD. Inmitten von internationalen Verlagen informierten Frauke Schick vom Referat „Information für Deutsche über Studium und Forschung im Ausland; Publikationen“ und ihre Kolleginnen und Kollegen über den Hochschulstandort Deutschland, unterschiedliche Fördermöglichkeiten für den Auslandsaufenthalt und das Lektorenprogramm des DAAD.

Gute Resonanz

„Wir beraten Interessierte vor allem in persönlichen Gesprächen“, sagte Frauke Schick. „Aber auch unsere Publikationen, wie beispielsweise das „go out!“-Magazin, sollen Schüler und Studierende für studienbezogene Auslandsaufenthalte begeistern.“ Wörterbücher mit Begriffen aus Wissenschaft und Hochschule sowie das mehrjährige Kalendertagebuch fanden ebenso gute Resonanz. Neben Schülern, Studierenden, Graduierten und Doktoranden suchten einige Pädagogen – die im Schulalltag vor der Aufgabe stehen, Eltern und Schüler zu den Stipendien gezielt zu beraten – eine fundierte Orientierung rund ums Thema Auslandsaufenthalt. Anders Marcel Kraft: Der Gymnasiallehrer an der Europäischen Schule Frankfurt am Main nutzte die Chance, Informationen zum Leben und Studieren in Deutschland für seine ausländischen Schüler zusammenzutragen. „Nach dem internationalen Abitur gehen viele meiner Schüler zum Studieren nach England“, sagte er. „Dabei bietet die deutsche Hochschullandschaft vielfältige und kostenfreie Alternativen.“ Auch ehemalige Lektoren und Stipendiaten besuchten das DAAD-Team. „Der Kontakt zu unseren Alumni und ehemaligen Kollegen reißt nicht ab“, freute sich Frauke Schick.

Tradition und Moderne

Das Berliner Künstlerprogramm (BKP) des DAAD war ebenfalls mit ehemaligen und aktuellen Gästen auf der Frankfurter Buchmesse präsent. Raj Kamal Jha, Romancier und Chefredakteur des Indian Express in Neu-Delhi, und Altaf Tyrewala, Romancier und Lyriker, diskutierten auf der Bühne des Weltempfangs über „Indiens Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten“. Im Fokus des Podiumsgesprächs, das die Literaturkritikerin und Kulturjournalistin Claudia Kramatschek moderierte, standen die Gegensätze von Tradition und Moderne, rasantem Wirtschaftswachstum und massiver Armut. Indiens Wirtschaftsboom, aber auch die gesellschaftliche Verantwortung der indischen Schriftsteller und Journalisten stellten die Podiumsgäste zur Debatte.

Dabei betrachteten Raj Kamal Jha und Altaf Tyrewala die aktuellen politischen Entwicklungen in ihrer Heimat mit Sorge. „Die neue Regierung spricht nur die Sprache der Wirtschaft“, sagte Altaf Tyrewala, BKP-Gast im Jahr 2011, der mit seinem Roman „Kein Gott in Sicht“ (dt. 2006) internationale Bekanntheit erlangt hatte. In seinem Langgedicht „Das Ministerium der verletzten Gefühle“ (dt. 2013), geschrieben während seines Gastaufenthalts in Berlin, fasste Tyrewala sein Unbehagen in deutliche Worte: In eindringlicher Weise beschrieb er darin einen indischen Alltag, in dem alles den Gesetzen des Marktes untergeordnet wird. Seither ist sein Unbehagen noch gewachsen, ist in Zeiten von Facebook, in denen die Menschen versucht sind, ihr eigenes Leben als Fiktion zu gestalten, der Sinn literarischen Schaffens doch noch einmal zusätzlich in Frage gestellt. „Mittlerweile sehe ich kaum noch eine Möglichkeit, meine Verzweiflung literarisch zum Ausdruck zu bringen“, sagte er. Gleichzeitig lehnte er es ab, mit Schlagwörtern wie „Turbokapitalismus“ zu operieren. „Meiner Ansicht ist es notwendig, die verschiedenen Entwicklungen im Auge zu behalten“, erklärte Tyrewala. Das Chaos der indischen Städte sowie die Diversität und Komplexität der indischen Gesellschaft gelte es zu akzeptieren.

Keine vorschnellen Urteile

Raj Kamal Jha, BKP-Gast 2012, von dem in deutscher Übersetzung bislang die Romane „Das blaue Tuch“ (dt. 2000), „Wenn du dich fürchtest vor dem Fall“ (dt. 2005) und „Die durchs Feuer gehen“ (dt. 2006) erschienen sind, verwies in seiner Analyse der indischen Wirklichkeit auf die demografische Entwicklung des Landes. „Etwa eine halbe Milliarde Menschen, die in Indien leben, sind unter 25 Jahre alt“, sagt er. „Sie verlangen von der Politik schnelle Lösungen und sind nur selten bereit, sich mit der Geschichte des Landes und der Leute auseinanderzusetzen.“ Jha plädierte dafür, keine vorschnellen Urteile zu treffen, was er an einem drastischen Fall deutlich machte: Der Gruppenvergewaltigung einer Studentin in Neu-Delhi im Dezember 2012, die auch in Europa für Aufmerksamkeit sorgte. In seiner Eigenschaft als Chefredakteur des Indian Express hielt er seine Reporter dazu an, neben der Lebensgeschichte des Opfers auch die der Täter zu recherchieren. „Einer der Vergewaltiger lebt seit seinem sechsten Lebensjahr auf der Straße“, erzählte er. „Seine Eltern, denen er regelmäßig Geld nach Hause schickt, haben ihren Sohn jahrelang nicht gesehen und wohnen in einem Haus ohne Dach.“

Katharina Narbutovič, Leiterin des BKP, stand ihren ehemaligen Gäste auf der Buchmesse zur Seite – und moderierte ein Panel mit Afrizal Malna, indonesischem Dichter, Performance-Künstler, Philosoph und aktuellem Gast des BKP, am ARTE-Stand. Im Gespräch über Lyrik und politische Literatur näherten sie sich der Buchmesse im Jahr 2015, deren Ehrengast Indonesien sein wird. „In der Generation Malnas gibt es eine deutliche Tradition der Avantgarde und des Experiments“, sagte Narbutovič. Der 1957 in Jakarta geborene und mittlerweile in Yogyakarta lebende Künstler machte während des Dialogs klar, warum er ein Zweifler an der Sprache ist: Seine Muttersprache Bahasa Indonesia wurde den hunderten indonesischen Völkern vom Suharto-Regime als Einheitssprache auferlegt. Er selbst sucht deshalb nach einem Indonesisch, das die Geschichtsvergessenheit seiner Heimat ebenso zu reflektieren vermag wie die Tatsache, dass dieses „geeinte“ Indonesien ein Konstrukt ist. Eine Kostprobe seiner Arbeit gab Malna tags darauf mit einem Essay-Performance-Monolog am indonesischen Gemeinschaftsstand. Das Verhältnis zwischen Raum, Körper und Sprache – ein essentieller Bestandteil seiner dichterischen Arbeit – untersuchte er dabei auf höchst plastische Weise. „In Indonesien spielt der Körper eine ganz andere Rolle als hier in Europa“, erläuterte Narbutovič. „Dort gibt es die jahrtausendalte Tradition der Gamelanmusik, magischer Rituale und Tänze.“ Wie Katharina Narbutovič sieht auch Frauke Schick der kommenden Buchmesse mit Freude entgegen: „Ich habe über fünf Jahre an der DAAD-Außenstelle Indonesien gearbeitet und bin deshalb sehr gespannt, was uns nächstes Jahr erwartet“, sagte Schick.

Christina Pfänder (14. Oktober 2014)