Entwicklung bedeutet Frieden für uns

Mateeullah Tareen

Andrea Fleschenberg dos Ramos Pineu und die Gruppe am Brandenburger Tor

Pakistanische Sozialwissenschaftler diskutieren mit Vertretern des Auswärtigen Amts über die Zukunft Pakistans.

Im Rahmen des vom Auswärtigen Amt geförderten Sonderprogramms Good Governance Pakistan und der Studienreise “Reviewing Political Participation and Good Governance in Europe and South Asia” besuchten Anfang Juli zwölf pakistanische Graduierte der Quaid-i-Azam University mit der DAAD Langzeitdozentin, Dr. Andrea Fleschenberg dos Ramos Pinéu, die Städte Marburg und Berlin. In der Hauptstadt wurden sie vom Repräsentanten des AA-Arbeitsstabs für Afghanistan und Pakistan, Andreas von Brandt, und zwei seiner Kolleginnen in den Räumen des Auswärtigen Amts empfangen.

Der Politologe von Brandt hatte viele Fragen an die jungen Sozialwissenschaftler und interessierte sich für ihre Werdegänge, ihre Motivation Sozialwissenschaften zu studieren, ihre Einschätzungen aktueller politischer Entwicklungen und ihre Visionen für die Zukunft Pakistans, welche er in den Händen der jungen Menschen sieht. Er interessierte sich auch für die Meinungen über die Förderung des Dialogs zwischen Madrassen und säkularen, öffentlichen Schulen innerhalb der pakistanischen Provinz Balutschistan. Das Auswärtige Amt unterstützt verstärkt Maßnahmen in den Bereichen Menschenrechte, Zivilgesellschaft und Rechtsstaat, deren Entwicklung es langfristig begleiten möchte.

Die Hälfte der Studierenden stammt aus den weniger entwickelten und von soziopolitischen Spannungen geprägten Gebieten wie Khyber-Pakhtunkhwa, Balutschistan, den Stammesgebieten (FATA) und Gilgit-Baltistan. Einige haben selbst Madrassen besucht und kennen das Leben zwischen religiösen Spannungen, politischer Gewalt und dem Wunsch nach Bildung und Selbstbestimmung. Vor allem das Erleben von Ungerechtigkeiten wie Exklusion, so die Studentin Hasina aus Gilgit-Balitistan im Hinblick auf die Situation von Mädchen und Frauen, und das Verwehren von Menschenrechten, hat die jungen Pakistaner geprägt und den Ansporn gegeben, Sozialwissenschaften zu studieren und diese Verhältnisse zu ändern. Das Durchschnittsalter der pakistanischen Bevölkerung liegt bei 21 Jahren, das der deutschen bei 44. Nur 2% der pakistanischen Staatsausgaben werden in Bildung investiert und die Alphabetisierungs- und Einschulungsquote zählt zu den niedrigsten der Welt. Der Human Development Index stuft Pakistan auf Platz 146 von 187 Ländern ein.

Die Studentengruppe ist sich einig, dass Bildung der wichtigste Faktor für die Entfaltung der pakistanischen Gesellschaft ist und dass durch Entwicklung ein dauerhafter Frieden hergestellt werden kann, wobei Sozialwissenschaften eine besondere Aufgabe zukommt. „Nur durch Bildung kann sich die pakistanische Gesellschaft weiterentwickeln und Entwicklung bedeutet Frieden für uns“, sagt einer der Teilnehmer aus Pakistan.

Dazu möchten alle zwölf mit ihrer Ausbildung beitragen und betonen immer wieder die große Wichtigkeit über den Tellerrand Pakistans zu schauen und messen dem akademischen Austausch mit Deutschland eine hohe Bedeutung bei. „Die Studienreise nach Deutschland ist eine Möglichkeit für mich auf Menschen und Orte zu treffen, zu denen ich sonst keinen Zugang gehabt hätte. Mir ist klar geworden, wie grundlegend wichtig Bildung ist und welche Chance sie darstellt, eine Gesellschaft zu verändern“ sagt eine Studentin aus Islamabad. Einen wichtigen Grundstein hierfür legt seit fast 3 Jahren die DAAD-Langzeitdozentin Dr. Andrea Fleschenberg dos Ramos Pinéu, die in Lehrveranstaltungen nicht nur sozialwissenschaftliches Wissen in den Bereichen Theorien, kritisches Denken und Methoden wissenschaftlichen Arbeitens vermittelt, sondern in den kooperativen Studienreisen gemeinsam mit der Kollegin Prof. Dr. Ursula Birsl von der Philipps-Universität Marburg einen gezielten Augenmerk auf Fragen von Governance und Demokratie, politischer Teilhabe und Entwicklung im europäisch-südasiatischen Vergleich legt. Dieses konnten die Studierenden nun schon zum dritten Mal an der Universität Marburg als auch an der Humboldt Universität in Berlin vertiefen, wo sie auf interessierte deutsche Studenten unterschiedlicher sozialwissenschaftlicher Fachgebiete trafen, gemeinsam wissenschaftlich arbeiteten und über politische Partizipation und Good Governance in Europa und Asien kontrovers diskutierten.

Ivana Olic de Oliveira, Referentin für das Good Governance-Programm im DAAD, unterstrich bei ihrer Begrüßung im Auswärtigen Amt die Wichtigkeit der Präsenz einer sozialwissenschaftlichen Dozentur in einem Land, wo traditionell die MINT-Fächer dominieren und die Bedeutung des Good Governance-Programms für die pakistanische Gesellschaft. „Die Abwesenheit von funktionierenden staatlichen Strukturen und die ungerechte Ressourcenverteilung fördert soziale Ungerechtigkeit und Konflikte“, so Olic de Oliveira, „Das Good Governance Pakistan-Programm möchte mit Langzeitstipendien, Studienreisen, Konferenzen und Fachtagungen in Pakistan und Deutschland einen Raum für politische Bildung und wissenschaftlichen Austausch geben und damit zur friedlichen und nachhaltigen Entwicklung in Pakistan beitragen“.

Besonderes Interesse erweckte die deutsche gesellschaftspolitische Transformation, welche die Studierenden durch den Besuch von deutschen historischen Stätten, Museen und der geschichtlichen Auseinandersetzung der deutschen Kriegs- und Diktaturerfahrungen erlebten und mit Erfahrungen im eigenen Land verglichen: „Die Deutschen haben ihre eigene Geschichte nicht vergessen. Das Beste war, dass diese Museen mehr von Lektionen für zukünftige Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen handelten, denn von vergangenem Hass. Durch sie zu gehen war wie durch die Straßen des vergangenen Deutschlands zu laufen - aber mit einem humanistischen, vorsorglichen Antasten”, so Mateeullah Tareen aus Balutschistan. Neben den Mahnmalen für die Opfer des Holocaust und der Sinti und Roma und dem Stasi-Museum hat die Studiengruppe auch das Jugendwiderstandsmuseum und die Stiftung Topographie des Terrors besucht. „Die immensen und reichen Erfahrungen, die wir während dieser Studienreise gewannen, können nicht mit Worten beschrieben werden“, fasst die politisch engagierte Studentin Kanwal Shauzab aus Islamabad zusammen und freut sich auf weitere Möglichkeiten des akademischen und kulturellen Austauschs mit Deutschland.

Ivana Olic de Oliviera (29. Juli 2014)