''Mehr Möglichkeiten für die Studierenden und die Hochschulen''

DAAD

Politischer Beginn in Berlin: Siegbert Wuttig mit EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou

Nicht viele kennen das erfolgreiche EU-Bildungsprogramm "Erasmus" so gut wie Dr. Siegbert Wuttig, Leiter der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit beim DAAD. Wuttig hat das Programm von Anfang an begleitet und auch seine Neugestaltung unter der Überschrift "Erasmus+" mitgeprägt. Im Anschluss an die nationale Auftaktveranstaltung zu Erasmus+, die Ende April 2014 in Berlin stattgefunden hat, spricht Siegbert Wuttig im Interview über die Vorteile des neuen Programms und die anhaltende Notwendigkeit der europäischen Verständigung.

Herr Dr. Wuttig, was sind Ihre Eindrücke von der Berliner Auftaktveranstaltung?

Dr. Siegbert Wuttig: Dieser politische Auftakt zu Erasmus+ war eine tolle Sache. Die Anwesenheit von EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou und den beiden Bundesministerinnen Johanna Wanka und Manuela Schwesig zeigt den hohen Stellenwert des Programms, ebenso die Teilnahme von Sylvia Löhrmann, der derzeitigen Präsidentin der Kultusministerkonferenz, und von Doris Pack, der Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europäischen Parlament. In Berlin sind über 500 Vertreter aller Bildungsbereiche zusammengekommen, darunter auch die DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland. Der gemeinsame Wille wurde deutlich, in den nächsten sieben Jahren die internationale Zusammenarbeit auch über die Bildungsgrenzen hinweg stärker in den Vordergrund zu stellen – von der Schule über die berufliche Ausbildung bis zum Studium. Die Studierendenmobilität wird medial immer noch am deutlichsten wahrgenommen – was sich in der vergangenen Woche auch an einem Bericht der ARD-„Tagesschau“ und des ZDF-„heute journal“ zur Hauptsendezeit gezeigt hat. Die öffentliche Resonanz auf die Auftaktveranstaltung war rundum positiv.

Worin liegt der Mehrwert von „Erasmus+“?

Auf der finanziellen Seite haben wir einen festgelegten Etat von 14,8 Milliarden Euro für die kommenden sieben Jahre – das bedeutet ein Plus von 40 Prozent. Die monatliche Förderung der Studierenden wird zumindest für Länder mit hohen Lebenshaltungskosten wie Frankreich und Großbritannien angehoben. Grundsätzlich können die einzelnen Hochschulen die Verteilung der gestiegenen Fördermittel an ihre Studierenden aber flexibel handhaben. Apropos Flexibilität: Von nun an können einzelne Studierende mehrmals gefördert werden; das haben die Studierenden wie auch die Hochschulen eingefordert. Die Beschränkung auf eine einzige Förderung ist ein Relikt aus der Erasmus-Anfangszeit von 1987, als es nur einzügige Studiengänge gab. Künftig kann jeder während des Bachelor-, Master- und Promotionsstudiums bis zu zwölf Monate ins Ausland gehen, also insgesamt drei Jahre. Auch die zwölf Monate können gestückelt und auf verschiedene Länder verteilt werden. Bei den einzelnen Phasen muss nur die Mindestdauer eingehalten werden; das sind beim Studium drei Monate, beim Praktikum jetzt neuerdings zwei Monate. Auch das ist eine wesentliche Erleichterung, weil Juristen und Mediziner oft kürzer ins Ausland gehen als drei Monate.

Welche Neuerungen würden Sie noch hervorheben?

Man kann jetzt auch nach dem Studium mit Erasmus ins Ausland gehen und bis zu einem Jahr nach dem Abschluss mit Bachelor oder Master noch ein Praktikum gefördert bekommen, so dass man den Auslandsaufenthalt als Überbrückung zwischen Bachelor und Master oder als Test für den Arbeitsmarkt absolviert. Erstmals gibt es auch die Möglichkeit, ein ganzes Masterstudium, einjährig oder zweijährig, mit einem zinsgünstigen Kredit zu fördern. In jedem beteiligten Land werden sich die Studierenden an eine Bank wenden können, um ein zinsgünstiges Darlehen zu erhalten. 12.000 Euro für ein Jahr, 18.000 Euro maximal für zwei Jahre, mit jeweils sehr günstigen Rückzahlungsbedingungen, ähnlich wie beim BAföG. Der Unterschied zum BAföG ist, dass die Förderung unabhängig vom Einkommen ist.

Grundsätzlich bedeutet Erasmus+ mehr Geld für das Programm, mehr Möglichkeiten für die Studierenden, das Hochschulpersonal und die Hochschulen. Erasmus+ bietet für die Hochschulen auch speziell die Möglichkeit, ab 2015 Mobilität und Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb Europas zu fördern und damit ein Fenster zur Welt zu öffnen. Zusätzlich zu den bisher beteiligten 33 europäischen Ländern werden wir den Austausch mit Regionen anderer Kontinente fördern – in beide Richtungen. Das werden am Anfang sicherlich nur kleine Studierendenzahlen sein, aber auch das Erasmus-Programm hat einmal mit 700 Geförderten in Deutschland angefangen, und heute sind wir bei 35.000. Insgesamt leistet Erasmus+ damit und vor allem auch mit den neuen Strategischen Partnerschaften einen wichtigen Beitrag zur weiteren Internationalisierung der Hochschulen.

Wie bewerten Sie die Bedeutung von Erasmus+ angesichts der anstehenden Europawahlen?

Man darf nicht vergessen, dass Erasmus in hohem Maße dazu beiträgt, dass Europa zusammenwächst – auch gegen populistische und fremdenfeindliche Tendenzen. Das Programm hat von Anfang die Botschaft gehabt, Verständnis für andere Kulturen und auch das Miteinander in Europa zu fördern. Dieser Aspekt kommt im Moment etwas zu kurz. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir jetzt in einer Situation sind, wo die Beschäftigungslosigkeit und die Wirtschaftskrise mancher Länder im Vordergrund stehen. Deshalb wird Erasmus+ von vielen als ein Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gesehen. Auch das ist wichtig, aber wir sollten nicht die Ziele der Gründungsjahre von Erasmus aus den Augen verlieren.

Johannes Göbel (30. April 2014)

Weitere Informationen

Das neue EU-Bildungsprogramm Erasmus+ wurde nach zweieinhalb Jahren intensiver Verhandlungen von Europäischem Rat und Parlament offiziell verabschiedet und ist zum 1. Januar 2014 gestartet – mit einer Laufzeit von zunächst sieben Jahren. Im Rahmen der nationalen Auftaktveranstaltung im Berlin Congress Center vom 25. bis zum 27. April 2014 betonte Bundesbildungsministerin Professor Johanna Wanka: „Das Programm schlägt Brücken zwischen Menschen, wirkt über Bildungsbereiche und Ländergrenzen hinweg. Die finanziell deutlich bessere Ausstattung bietet jungen Menschen einzigartige Angebote und Chancen, sich persönlich weiterzuentwickeln und wichtige berufliche Kompetenzen anzueignen.“ Erasmus+ löst das bisherige Programm für lebenslanges Lernen sowie die internationalen EU-Hochschulprogramme mit Drittländern ab. Auch das Programm „Jugend in Aktion“ wird in Erasmus+ integriert. Im Bildungsbereich bleiben jedoch die bewährten Markennamen Comenius (Schulbildung), Erasmus (Hochschulbildung), Leonardo (Berufliche Bildung) und Grundtvig (Erwachsenenbildung) erhalten. Erasmus wird in Deutschland vom DAAD als Nationaler Agentur für die EU-Hochschulzusammenarbeit umgesetzt.