"Wer baut uns eigentlich unsere Stadt?"

DAAD/Sigrid Dossow

Zu Fuß durch die Hamburger Speicherstadt: Neben dem fachlichen wurde auch der lockere Austausch gepflegt

Mehr als 110 DAAD-Alumni trafen sich zwischen dem 25. und dem 27. April 2014 zum zweiten DAAD-Alumni-Seminar für deutsche Architekten und Stadtplaner in Hamburg. Das Programm, das neben Vorträgen und Diskussionen auch Besichtigungen vorsah, hatte vor allem das Ziel, Erfahrungsaustausch und Netzwerkpflege unter den Ehemaligen zu ermöglichen.

Es gibt wenige Plätze, die für eine Tagung zum Thema „Wer baut uns eigentlich unsere Stadt?“ so geeignet sind wie Hamburgs neuer Stadtteil an der Elbe, die HafenCity, betonte Ulrich Grothus, stellvertretender Generalsekretär des DAAD, in seiner Eröffnungsrede. Schon beim ersten Alumni-Treffen der deutschen Architekten vor zweieinhalb Jahren in Frankfurt hatten in Hamburg lebende Alumni ihre Stadt für ein nächstes Treffen vorgeschlagen und schließlich intensiv an der inhaltlichen Programmgestaltung mitgewirkt.

Bereits auf dem Weg zum ersten der drei Tagungsorte – über Flaniermeilen mit belebten Straßencafés und Restaurants auf der einen Straßenseite, Stahlgerüsten, Baukränen und Baugruben auf der anderen – erhielten die Teilnehmer einen ersten Eindruck von dem gigantischen Bauprojekt der Hansestadt. Um die Tagung vor Baustellenlärm an der erst vor wenigen Wochen bezogenen neuen HafenCity Universität (HCU) zu bewahren, hatte Gastgeber Präsident Dr. Walter Pelka sein ehemaliges Präsidiumsgebäude für die Auftaktveranstaltung am Freitag zur Verfügung gestellt.

Volkwin Marg: Eindrücke aus Shanghai und Stuttgart

Inspiriert von der Fragestellung „Wer baut uns eigentlich unsere Stadt?“ und geprägt von seinem reichen Schatz an Erfahrungen im internationalen Baugeschäft, schilderte Festredner Professor Volkwin Marg vom Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, fachkundig und gleichzeitig humorvoll, wie unterschiedlich die Antwort auf diese Frage unter verschiedenen politischen Bedingungen ausfallen kann. Der international hoch angesehene Architekt, selbst vor vielen Jahren DAAD-Stipendiat in den Niederlanden, berichtete über Bauprojekte in Shanghai, Valencia und Paris und kommentierte zwei deutsche Bespiele: die Entstehung der Hamburger HafenCity und das viel diskutierte Projekt „Stuttgart 21“. Deutschland habe das beste Planungssystem weltweit, betonte er, doch würden rasche Entwicklungen durch die Delegation von Entscheidungen gebremst.

Mit reichlich Diskussionsstoff und dem Wunsch, mit möglichst vielen anderen Kollegen ins Gespräch zu kommen, machten sich die DAAD-Alumni zum Ausklang des Eröffnungstags auf den Weg durch eine in goldenes Sonnenlicht getauchte Speicherstadt in den Gröninger Braukeller, der ältesten Braustätte Hamburgs.

Hamburger Leuchttürme

Drei HafenCity-Touren führten in die Thematik des zweiten Tages ein, an dem es um die Stadtentwicklung in Hamburg und im Ausland gehen sollte. Nach der Besichtigung eines Modells der HafenCity und der Vorstellung des Stadtentwicklungskonzeptes im Kesselhaus der Speicherstadt, steuerten die Teilnehmer drei Vorzeigeprojekte an: die Anfang April 2014 eröffnete HCU, das kurz vor der Fertigstellung befindliche neue Stage Theater, in dem im Herbst das Musical „Das Wunder von Bern“ uraufgeführt werden soll, und die aufgrund immenser Kostensteigerungen umstrittene Elbphilharmonie. Für Volkwin Marg ist letztere – ungeachtet der hohen Kosten – unbestritten „ein Leuchtturm und zwar ein Kulturleuchtturm, eine Landmarke mit geistigem Inhalt“.

Professor Jörn Walter, Oberbaudirektor der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, berichtete sehr anschaulich über Probleme und Herausforderungen bei der Entwicklung nicht nur der HafenCity; sondern auch der Stadtteile Wilhelmsburg und Altona. Die Hamburger DAAD-Alumni Ulrike Broocks, Laurenz Plassmann und Sofia Manti referierten über die Nachverdichtungskonzepte in der mit Platzmangel kämpfenden Metropole, die pro Jahr 6.000 neue Wohnungen bauen will, über Kulturbauten in einer Stadt, die sich als das „Tor zur Welt“ versteht sowie über Abläufe von Baugenehmigungsverfahren.

Von London bis Rio

International tätige Alumni spannten einen weiten Bogen von der bloßen Schaffung von Wohnraum bis hin zum Entwurf von „Gemütlichkeit“: Juliane Prechtl berichtete über den ehrgeizigen Plan, 236 Hochhäuser in London zu errichten, um dem Wohnungsmangel entgegenzuwirken. In den gigantischen Bauvorhaben Saigons auf dem Weg zur vietnamesischen Megacity sah Axel Korn die „HafenCity Faktor zehn“. Über nachhaltige Projektentwicklung und ihre Arbeit als forschende Architektin in Singapur berichtete Dr. Iris Belle. Einen besonderen Blick auf internationale Stadtentwicklungen warf Professor Wolfgang Willkomm, ebenfalls DAAD-Alumnus und Dekan des Masterstudienganges Architektur der HafenCity Universität: An Beispielen aus Mombasa, Nairobi, Asunción und Rio de Janeiro zeichnete er die Entwicklung von Stadtteilen nach, die informell ohne Architekten und Stadtplaner entstanden sind.

Arbeitsverträge im Ausland

Während ihres Auslandsaufenthalts in London hat auch Annika Rabi über den deutschen Tellerrand geschaut. 2003 erhielt sie den vom DAAD betreuten Taut-Preis für hervorragende Architektur-Studierende und damit die Finanzierung für ein Auslandsjahr in einem renommierten Architekturbüro. Bei Tony Fretton Architects in London „einem menschlich richtig tollen Büro mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Ländern“, wie sie das kleine, international bekannte Büro beschreibt, bekam Rabi gleich im ersten Jahr die Leitung für ein Musterhaus-Projekt in Deutschland übertragen. Ihre Erfahrung in England: „Dort arbeitet man weniger mit Regularien und mehr mit dem gesunden Menschenverstand.“ Wie viele Alumni blieb sie über die Zeit der Förderung hinaus für einige Jahre im Ausland.

„Bau dir deine Uni“

Nach einem freien Abend der „Kennenlernen und Networking“ zum Ziel hatte, setzte der letzte Tag des Architektentreffens einen neuen Schwerpunkt und befasste sich mit dem „Architekturstudium – zu Hause und woanders“. Dr. Kerstin Sailer, die am 'Space Syntax Laboratory' am University College London forscht und lehrt hielt einen mitreißenden Vortrag über den Zusammenhang zwischen Raummorphologie und menschlichem Verhalten. Dabei warf sie die Frage auf, ob ein (sozial-)wissenschaftlicher Ansatz einen alternativen Zugang zu Architektur und eine Neuausrichtung der Architekturausbildung ermöglichen könnte. Praxisnah und sowohl zum Thema Studium als auch Stadtentwicklung passend stellte Professor Klaus Sill von der HCU, gemeinsam mit den Studierenden Boris Ikeda und Sarah Schrodt, das Siegerprojekt des interdisziplinären Wettbewerbs „Bau dir deine Uni“ vor. In einer Art Filiale der HCU entstehen im Kreativ- und Kulturquartier Oberhafen nun studentische Arbeitsräume, die Studierende selbst entworfen haben.

Dass ein Architekturstudium aber nicht immer nur das Ziel haben muss, als Architekt oder Stadtplaner kostspielige Großprojekte zu verwirklichen, veranschaulichten Professor Susanne Junker gemeinsam mit Till Gröner, Geschäftsführer der Grünhelme e.V. Beide arbeiten an Projekten in Regionen, in denen dringend Aufbauarbeit geleistet werden muss. So stellen die Grünhelme Hand in Hand mit der lokalen Bevölkerung die Infrastruktur in ehemaligen Kriegs- und Krisenregionen wieder her. Gröner ermutigte Architekturstudierende als Volunteers einmal an der Basis zu arbeiten, um über den Zugang zu Bildung auch den Menschen „abseits großer Städte und überlaufener Einsatzgebiete anderer Nicht-Regierungs-Organisationen“ eine Zukunft zu ermöglichen.

Auf Wiedersehen in Berlin?

Begeistert von den vielen interessanten Begegnungen und anregenden Vorträgen kam am Ende der fast dreitägigen Veranstaltung spontan das Angebot der in Berlin lebenden DAAD-Alumni, das nächste Treffen inhaltlich und finanziell zu unterstützen. Den Eindruck vieler Alumni fasst Hinrich Fromme in seiner Dankesmail zusammen: „Herzlichen Dank für die überragend gelungene Veranstaltung. Nicht nur die Zusammensetzung der diversen Diskussionen, Vorträge und Impulse war straff und gut, die Mischung aus jungen und „alten“ Alumni hat die Zusammenkunft wesentlich geprägt. Der Spielraum für das eigene Kontaktknüpfen war genauso wichtig, wie das Aufzeigen der zukünftigen Aktivitäten des DAAD. Ich persönlich habe sehr viel aus de Zusammentreffen mitnehmen können und gebe die Impulse gerne an meine eigenen Kinder weiter“.

Redaktion (7. Mai 2014)