Vom Maidan nach Berlin

BKP/DAAD/Krzysztof Zielinski

Yuri Leidermans Werk "Verkhovna Rada", 2007

Viele ukrainische Künstler haben an den revolutionären Ereignissen in ihrer Heimat teilgenommen oder reagieren mit ihren Arbeiten unmittelbar darauf. Noch bis zum 21. Juni zeigt die daadgalerie des Berliner Künstlerprogramms des DAAD als erste deutsche Einrichtung einen aktuellen Querschnitt: Werke des intensiven politischen Engagements, frei von nationalistischem Pathos.

Von den Barrikaden in die Ausstellungshalle: Während der monatelangen Besetzung des Maidan-Platzes in Kiew zeichnete die Künstlerin Lesia Khomenko Konterfeis der Demonstranten, schenkte ihnen die Originale und hob die Durchschläge auf. Nun liegen davon zwei Stapel Kopien in der daadgalerie aus – eine Porträtserie des Protests. Sie zeugt davon, dass „ukrainische Künstler stark politisiert sind“, hebt Kuratorin Bettina Klein, die gemeinsam mit Ariane Beyn für das Berliner Künstlerprogramm (BKP) des DAAD die Sparte Bildende Kunst betreut, hervor: Gesellschaftliches Engagement steht bei ihnen hoch im Kurs.

Ein eigenwilliges Zeichen setzte der Maler Oleksandr Melnyk. Mit seinem Bild eines riesigen Augenpaars im Ikonenstil samt der Parole „Ich sehe, was Ihr tut“ begab er sich immer wieder auf den Platz – selbst wenn Geschosse flogen. Nun steht das dadurch beschädigte Gemälde ebenfalls in der Galerie: mitten im Schaufenster.

Tief schürfen

Der Blickfang lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Ausstellung, die nicht aktueller sein könnte. Sie füllt einen blinden Fleck: Ukrainische Kultur ist in Deutschland kaum bekannt. Zwar haben Autoren wie Juri Andruchowytsch oder Katja Petrowskaja hierzulande ihr Publikum gefunden, doch zeitgenössische Kunst aus der Ukraine ist bislang weitgehend Terra incognita.

Dabei leben wichtige Vertreter wie der Fotograf Boris Mikhailov und der Konzeptkünstler Yuri Leiderman in Berlin, aber sie werden selten als Ukrainer wahrgenommen. Dagegen wurde das Berliner Künstlerprogramm des DAAD schon früh auf die Szene zwischen Lemberg und Charkiw aufmerksam: 1996 war Mikhailov Gast des BKP, 2005 Andruchowytsch, 2010 folgte der Lyriker Serhij Zhadan. Sie alle – wie auch zahlreiche weitere Künstler – wurden gewonnen für die Begleitreihe von Diskussionen zur Ausstellung. Diese ist im deutschsprachigen Raum zurzeit einzigartig. Die jüngst beendete Schau „I am a drop in the ocean“ im Künstlerhaus Wien war auf die visuellen Ausdrucksformen der Proteste beschränkt. Dagegen schürft die daadgalerie tiefer: Mit elf Beiträgen zeichnet sie Traditionslinien engagierter Kunst in der Ukraine seit der Unabhängigkeit 1991 nach.

Verschiedene Regionen, verschiedene Generationen

„Wir wollen keinen Überblick geben; das wäre bei zweieinhalb Monaten Vorbereitungszeit unmöglich“, betont Kuratorin Klein: „Mir war wichtig, die ukrainische Innenperspektive auf die Ereignisse zu zeigen: aus der Sicht von Künstlern aus verschiedenen Regionen und Generationen.“ Um den zeithistorischen Kontext zu veranschaulichen, hat sie auch ältere Werke ausgewählt.

Etwa eine ukrainische Flagge, auf die Yuri Leiderman 2007 handgemalte Porträts von Abgeordneten aufnähte: Damit wollte er laut eigenen Worten „diejenigen handlungsunfähig machen, die den Weg der Ukraine nach Europa behinderten“. Mitten in dieser Parade prangt das Konterfei von Viktor Janukowitsch, dem Ende Februar gestürzten Ex-Staatschef.

Einen ähnlichen „symbolischen Exorzismus“ vollzieht Volodymyr Kuznetsov. Er stickt auf reproduzierte Kalenderseiten drastische Motive: etwa brennende Kühltürme, eine Erinnerung an die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Dem Versagen moderner Technik hält Kuznetsov die Rückbesinnung auf Altehrwürdiges entgegen: Stickereien sind ein wichtiges Element der ukrainischen Volkskunst. Ebenso wie bemalte Keramik: Nikita Kadan hat acht Porzellanteller mit Zeichnungen bedruckt. Sie zeigen keine lieblichen Genre-Motive, sondern Foltermethoden von Polizei und Geheimdienst – im nüchternen Stil der Illustrationen des „Medizinischen Volkslexikons“, das jedem Sowjetbürger vertraut ist. So wird die Alltäglichkeit des Grauens drastisch deutlich.

Unruhen als Wandmalerei

Andere Künstler nutzen neue Medien. Im einminütigen Videoclip „Seacoast“ von 2008 findet Mykola Ridnyi ein einprägsames Bild für militärische Bedrohung: Zu sehen sind Fischer an einem Strand auf der Krim. Plötzlich fallen Quallen direkt vor die Kamera; dazu hört man auf der Tonspur Flugzeuggeräusche, die an detonierende Bomben erinnern. Ridnyi steuert auch die aktuelle Dokumentation „Fortress“ zur Ausstellung in der daadgalerie bei: Aufnahmen vom besetzten Maidan und aus der Villa Janukowitschs unterlegt er mit historischen Texten über Feudalordnung und Kriegsführung im Mittelalter.

Die monatelangen Unruhen im Stadtzentrum von Kiew stellt die Künstlergruppe R.E.P. dagegen als Wandbild aus Hunderten schwarzer Piktogramme dar. Um sie entschlüsseln zu können, benötigt der Betrachter ein „Wörterbuch“. Diese monumentale Chronik der Ereignisse erinnert paradoxerweise an altägyptische Hieroglyphen-Friese und verströmt gelassene Ruhe. Wie viele der Exponate: Nationalistisches Pathos sucht man vergebens.

Den geistigen Austausch fördern

Nach den Umwälzungen der letzten Monate zögen sich nun viele Akteure etwas zurück, um das Geschehen zu analysieren, berichtet Kuratorin Klein: Mit dieser Ausstellung wolle das Berliner Künstlerprogramm des DAAD den geistigen Austausch mit ukrainischen Künstlern fördern. Sie seien über den Westen wohl informiert und sehr an ihm interessiert, doch es mangele an vermittelnden Institutionen: Noch gebe es in Kiew kaum Galerien und keinerlei Förderprogramme. So bietet „The Ukrainians“ derzeit die beste Gelegenheit, die Kunstszene der Ukraine umfassend kennenzulernen – mitten in Berlin.

Oliver Heilwagen (9. Juni 2014)