Vereinigtes Königreich: Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort

Eine Gasse mit alten Häusern und Geschäften, in denen Menschen einkaufen.

Schilderungen von Stipendiaten und Mitarbeitern, die für einige Zeit vor Ort leben, studieren und arbeiten, vermitteln einen lebhaften Einblick in das Land.

Von Europa, Pub-Kultur und Hogwarts-Flair

Andreas Eder hat Moderne Europäische Geschichte im Master studiert und war mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) an der University of Cambridge. Hier erzählt er seine Story, vom ersten term bis zur Masterarbeit.

Von: Andreas Eder

Stand: 22.07.2016

Großbritannien hat mich schon seit jeher stark fasziniert, bei einem vorherigen Studienaufenthalt hatte ich bereits Blut geleckt und nun wollte ich unbedingt noch einmal ein Jahr auf der Insel verbringen. Freundliche Menschen, die Pub-Kultur und natürlich die renommierte universitäre Landschaft waren für mich besonders anziehend. Die University of Cambridge mit den Colleges bot für mich die ideale Gelegenheit, in einem Masterstudium akademisch exzellente Bedingungen mit einem einzigartigen Studentenleben zu verbinden. Ich habe mich also für den Master in Moderner Europäischer Geschichte beworben und ein wunderbares Jahr in Cambridge erlebt. Mit was ich zurückkomme? Unter anderem mit vielen neuen Freunde und spannenden kulturelle Eindrücken.

Das Collegesystem in Großbritannien

Es ist einfach eine komplett andere Welt als an deutschen Universitäten. Ich war von Anfang an Teil einer großen, internationalen Gemeinschaft, die sehr herzlich, vielfältig und aufgeschlossen ist. Gepaart mit einer traditionsreichen Atmosphäre und der wunderschönen Stadt Cambridge hatte ich eine schöne und intensive Zeit. Mit dem Collegesystem an sich war ich bereits vorher vertraut und habe diesen Teil meines Auslandsjahres besonders genossen.

Die universitäre Arbeitsweise ähnelt sehr stark dem geisteswissenschaftlichen Studium in Deutschland: Man besucht wenige Vorlesungen und viele Seminare, hält Referate und schreibt Essays. Nur, dass die Seminare mit drei oder vier Kommilitoninnen und Kommilitonen im Büro des Professors stattfanden und nicht in einem überfüllten Hörsaal.

Formal dinners in den jahrhundertealten Sälen der Colleges

Mit Fliege und Hemd sitzt man in Cambridge regelmäßig im Speisesaal.

Das Leben abseits von Bibliothek und Essay war total vielfältig und ist durch die Colleges einzigartig. Vor allem die formal dinners in den jahrhundertealten Sälen der Colleges haben es mir angetan. Bei gutem Essen und im feinen Zwirn wurde ich doch recht ehrfürchtig gegenüber der allgegenwärtigen Tradition und der Universität als Institution. Durch solche feierlichen Anlässe habe ich mich in meiner akademischen Ausbildung viel mehr wertgeschätzt gefühlt als an einer deutschen Universität.

Die unzähligen Clubs und societies, die jedes College hat, haben meine Tage immer gut ausgefüllt und ich hätte gerne noch mehr ausprobiert. Ich habe das Rudern für mich entdeckt und zusammen mit meinem Collegeteam an Rennen gegen andere Colleges teilgenommen, genauso wie tausende von Studierenden in den Jahrhunderten vor mir. Wandtäfelung, Stuck und Ölbilder - da kann die deutsche Uni-Mensa wohl kaum mithalten.

Ich habe mein Studium in Cambridge auch als besonders bereichernd empfunden, da ein Großteil der Studierenden von überall herkommt und dadurch eine ganz eigene Atmosphäre entsteht. In den vielen gemütlichen Pubs in Cambridge, den ruhigen Parks und beim Spaziergang an der Cam kam diese für mich besonders zum Tragen. Der Kontakt mit britischen Studierenden kam aber zum Glück auch nicht zu kurz und auch einheimische Traditionen waren für mich teilweise neu und überraschend. So ist es in Großbritannien völlig normal, lange bevor der Bus kommt, eine Schlange an der Haltestelle zu bilden, und geduldig zu warten. Solche und andere "Eigenheiten" erlebt man, wenn man ein Jahr auf der Insel verbringt. Ich habe eine unglaublich schöne Zeit erlebt und kann es nur jedem sehr ans Herz legen, die Chance auf eine solche Zeit wahrzunehmen.

Mein Master an der University of Cambridge

Der Master in Modern European History soll einerseits das Verständnis der sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Geschichte des modernen Europas bieten und andererseits auf weitere Forschungsvorhaben vorbereiten. Da ein substantieller Teil des Kurses die eigene Forschungsarbeit ist und es nur sehr wenige Präsenzzeiten gibt (vor allem nach dem ersten term), findet ein Großteil des Kurses im Selbststudium statt. Dies erscheint vor allem deswegen sinnvoll, da alle Studierenden ja bereits einen qualifizierenden Abschluss besitzen und auch sehr genau ausgewählt wurden im Hinblick auf ihre Fähigkeiten, die Anforderungen dieses kurzen Programms zu meistern. Es bleibt daher jedem und jeder selbst überlassen, wie viele Vorlesungen, Seminare und Kolloquien man außerhalb des knappen Pflichtprogramms besuchen möchte. Das Angebot dieser ist bemerkenswert; so gibt es zum Beispiel ein regelmäßiges Seminar zu Intelligence History, etwas, das ich an deutschen Universitäten so bisher noch nicht gefunden habe. Dieses breite Angebot zeichnet diese Fakultät meines Erachtens auch besonders aus, denn es gibt viel mehr Ressourcen als an vielen deutschen Universitäten.

Der Master war in meinem Jahr zum ersten Mal deutlich kleiner als sonst: Wir waren nur zu zwölft. Dies hatte einerseits den Vorteil, dass wir uns alle schnell gut kennenlernen konnten und eine persönliche und vertraute Atmosphäre im Kurs entstand. Andererseits habe ich aber das Kursangebot der Fakultät als etwas eingeschränkt empfunden. Abgesehen vom Core Course wählt jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer noch zwei Seminare. Es werden aber insgesamt für diesen Master nur vier Seminar angeboten. Man kann also im Prinzip nur aus vier Seminaren auswählen, es sei denn, die Fakultät erlaubt, dass man ein Seminar in einem anderen Master besucht. Man kann natürlich nicht erwarten, dass immer alle Kurse zum eigenen Schwerpunkt passen, aber ein bisschen mehr Auswahlmöglichkeit hätte ich doch begrüßt. Generell hatte ich den Eindruck, dass der Schwerpunkt des Kurses und der Interessen der Kommilitoninnen und Kommilitonen auf dem 20. Jahrhundert und der Zeitgeschichte liegen. Dies war besonders auffällig im Research Seminar (s. u.), das fast ausschließlich über das gesamte Jahr hinweg Themen aus der Nationalsozialismus (NS)-Zeit zum Inhalt hatte.

Essays, core courses and terms – Studieren in Großbritannien

 Die traditionsreichen Gebäude der Universität sind über das Unigelände hinaus bekannt. Über das Jahr hinweg waren drei Essays zu jeweils 4.000 Wörtern zu schreiben. Für jedes Essay konnte man aus mehreren vorgegebenen Fragen auswählen. Die Essays richteten sich nach den gewählten Kursen und den Themen des Core Courses. Die Essays erarbeitet man selbstständig, zu Beginn gab es einen kleinen writing workshop, der allerdings nur teilweise die Anforderungen deutlich machen konnte. Das Feedback war teilweise hilfreich und ausführlich, teilweise oberflächlich, arrogant und sehr knapp bemessen. Rückmeldung über das erste Essay haben wir erst nach 14 (!) Wochen erhalten, was besonders bei der geringen Teilnehmerzahl und der Kürze des gesamten Programms erstaunlich war. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon mit dem dritten Essay beschäftigt. Als ärgerlich habe ich es empfunden, dass nicht klar kommuniziert wurde, wann und wie wir Rückmeldung erhalten. Wir mussten vielmehr immer wieder nachfragen, was durch eine bessere Kommunikation hätte verhindert werden können.

Neben der Uni gab's auch sportlichen Ausgleich. Der sogenannte Core Course ist fester Bestandteil des Programms und läuft über die ersten beiden terms. Er findet jeden Freitag statt; jede zweite Woche gibt es ein neues Thema mit einem Vortrag eines Mitglieds der Fakultät. Die Woche drauf gibt es dann kurze Präsentationen einiger Studierenden mit anschließender Diskussion. Leiter war Dr. Henning Grunwald. Die behandelten Themen sollen die Bandbreite aktueller geschichtswissenschaftlicher Debatten abdecken, was relativ gut gelingt. Die Debatten um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die Goldhagen-Debatte oder die Frage der Wissenschaftsrevolution zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren spannende Inhalte dieses Kurses. Hier dürfte es naturgemäß für jeden etwas Neues zu lernen geben und ich habe einige neue Denkimpulse von diesem Kurs mitnehmen können.

Nicht jede Sitzung ist gleich interessant und lehrreich, aber insgesamt bot dieser Teil des Masters einen guten Überblick über aktuelle Debatten. Ein besonderes Highlight war der Vortrag von Prof. Christopher Clark, Regius Professor of History, über seine mediale Rezeption im Zuge der Veröffentlichung der Schlafwandler. Die entspannte Atmosphäre trug zu einem persönlichen und lockeren Austausch bei, wie man ihn an deutschen Universitäten teils misst.

Seminare an der University of Cambridge

Der Name einer Veranstaltung war zum Beispiel Europe in the Age of the Barricade, Action, visions and representations of revolution in France and its neighbours, c. 1830-1871”

Prof. Tombs leitete die Veranstaltung, die mir sehr gut gefiel. Man hat wirklich das Gefühl, in seiner Meinung von Prof. Tombs geschätzt zu werden und es fühlte sich mehr wie ein Treffen auf Augenhöhe und nicht wie ein Seminar an. Dieser Kurs war für mich besonders interessant, da ich meinen Schwerpunkt auf das lange 19. Jahrhundert gelegt hatte. Prof. Tombs gestaltete die Sitzungen abwechslungsreich mit vielen Primärquellen, Kartenmaterial und Bildern. Dieser Ansatz hat mir deswegen so gut gefallen, da er Geschichte nicht nur anhand von Textquellen untersucht, sondern einen viel umfassenderen Blickwinkel wählt. Auch Fragen von Mentalitäten, vorgestellten Gemeinschaften und Erwartungen und Erfahrungen wurden behandelt. Wir waren relativ frei in den Gestaltungen der jeweiligen Sitzungen. Prof. Tombs gab das Oberthema vor und wir konnten zu Beginn jeder Sitzung unsere Fragen stellen, die wir dann nach und nach bearbeiteten. Diese Vorgehensweise hat mich sehr angesprochen, da wir viel frei entscheiden konnten. Da Professor Tombs dieses Jahr emeritiert wird, kann dieses Seminar aber nicht mehr angeboten werden.

Die Supervisor in Cambridge unterstützen bei der Masterarbeit

Das eigene Forschungsvorhaben nimmt von Anfang an einen großen Teil des Studiums ein. Bereits bei der Bewerbung reicht man ein research proposal ein und trifft sich dann mehr oder weniger regelmäßig über das akademische Jahr verteilt mit seinem Supervisor. Dieser oder diese wird einem zugeteilt. Es hängt sehr vom Supervisor ab, wie sich das Projekt gestaltet, wie oft man sich trifft und wie intensiv die Betreuung ist. Mein Supervisor hat mir viel Freiraum gelassen, was ich sehr begrüßt habe. Er hat mir auch, insbesondere zum Ende hin, viele wertvolle Hinweise gegeben und meine gesamte Arbeit vor der Abgabe gelesen und kommentiert. Dies habe ich als einen enormen Vorteil gegenüber dem deutschen System empfunden, in dem sich kaum jemand die Zeit nimmt, ganze Arbeiten vor der eigentlichen Abgabe schon mal zu lesen. Über das Jahr verteilt habe ich meinem Supervisor meine fertigen Kapitel geschickt und besprochen, sodass die Abgabe der Arbeit relativ stressfrei verlaufen ist. Die Arbeit wird anonym von zwei Gutachtern bewertet. Falls man Probleme mit seinem Supervisor hat, sollte man diese unbedingt frühzeitig ansprechen und Lösungen suchen. In Form seines Tutors hat man eine zusätzliche Ansprechperson hierfür.

Mein College stellte mir freundlicherweise finanzielle Mittel zur Verfügung für meine Archivaufenthalte in Berlin und London. Es ist empfehlenswert von Beginn an kontinuierlich an dem Projekt zu arbeiten, um nicht in Zeitdruck zu gelangen. Vor allem ab dem zweiten term gibt es nur noch wenige Präsenzveranstaltungen und somit genug wertvolle Zeit, sich der Arbeit zu widmen. Diese muss zwischen 15.000 und 20.000 Wörtern lang sein.

Der DAAD ermöglichte mir den Aufenthalt in Großbritannien

Ich danke dem DAAD sehr herzlich für die großzügige und unkomplizierte Förderung, die mir dieses wunderbare Jahr ermöglicht hat. Besonders das Engagement von Herrn Uhl möchte ich hervorheben, der sich sehr für uns eingesetzt hat. Auch das Treffen in London im November habe ich sehr genossen. Ich bin sehr froh, so viele neue Menschen kennengelernt und ein Netzwerk vor Ort aufgebaut zu haben. Der persönliche Austausch kommt in Cambridge durch das College-System besonders zum Tragen, welches man unbedingt in seiner ganzen Vielfalt und Breite nutzen sollte.

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