Belarus: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Im Studienjahr 2019/2020 zählt Belarus 51 Hochschulen, darunter 42 staatliche und neun private: Zu differenzieren sind dabei 34 Universitäten, neun Akademien und acht Institute, die jeweils unterschiedlichen Ministerien unterstehen. Die häufig als „belarussische Exiluniversität“ bezeichnete Europäische Humanistische Universität in Vilnius unterliegt den rechtlichen und bildungsministeriellen Vorgaben Litauens.

Die meisten Einrichtungen des tertiären Bildungsbereichs befinden sich in der Landeshauptstadt Minsk (20 staatliche, acht private); es folgen mit weitem Abstand die Gebietshauptstädte Gomel (vier staatliche, eine private), Witebsk und Mogiljow (jeweils vier staatliche), danach Grodno (drei staatliche) und Brest (zwei staatliche). Jeweils eine Hochschuleinrichtung befindet sich in Baranawitschi, Gorki, Masyr, Pinsk und Polatsk.

In den vorangegangenen Monaten wurde das neue Konzept der Bildungsstruktur aufbauend auf dem bisherigen System vorgestellt und bereits an einigen Hochschulen im Ansatz umgesetzt. Nach dem Erreichen der 11. Klasse (Attest ob obschem srednem obrazovanii) kann jeder Absolvent bei Anstreben eines Hochschulstudiums die Zentralisierte Hochschulaufnahmeprüfung in vier Fächern (je nach Studienwunsch) ablegen, von denen drei Ergebnisse für den Hochschulzugang relevant sind. Diese Hochschulzugangsberechtigungsprüfung (HSZB) wird an den Hochschulen abgelegt und führt je nach Punktzahl zur Aufnahme in den gewünschten Studiengang.

Innerhalb der Hochschullandschaft ist zwischen staatlichen Universitäten und Profilhochschulen sowie privaten Hochschulen zu unterscheiden. Unter den Profilhochschulen gibt es zum Beispiel technische und technologische Universitäten (jeweils mit Schwerpunktbereich Physik beziehungsweise Chemie), Agraruniversitäten und - akademien, Medizinische Universitäten, Pädagogische Universitäten, eine Verwaltungsakademie sowie eine Akademie für Veterinärmedizin oder die Linguistische Universität in Minsk.

Staatliche Universitäten ohne fachliche Schwerpunktsetzung zeichnen sich in der Regel durch Disziplinen- und Ausrichtungsvielfalt in den Bereichen Geistes- und Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft, Mathematik (einschließlich IT) und Naturwissenschaften aus. „Volluniversitäten“ gibt es nicht. Eine Einheit von Lehre und Forschung ist nicht charakteristisch für belarussische Hochschulen. Hochschuldozentinnen und -dozenten obliegt individuell die Pflicht der steten wissenschaftlichen Weiterqualifizierung, die de facto nicht mit den Forschungsaktivitäten der Lehrstuhlinhaber oder Fakultäten verbunden sein muss. Die Koordinierung von Forschung/Wissenschaft und Bündelung von Forschungszweigen erfolgt im Wesentlichen über die Nationale Akademie der Wissenschaften.

Die internationalen Rankings zufolge wichtigsten Universitäten in Belarus sind die Belarussische Staatliche Universität, die Belarussische Nationale Technische Universität, die Staatliche Janka-Kupala-Universität Grodno, die Belarussische Staatliche Universität für Informatik und Radioelektronik und die Staatliche Franzisk-Skorina-Universität Gomel.

Der Hochschulzugang erfolgt in Belarus in der Regel nach dem Beenden der 11. Klasse. Mit dem Erhalt des Schulabschlusszeugnisses „attestat ob obščem srednem obrazovanii“ werden meist im Juni zentralisierte Hochschulzugangsprüfungen („centralisovannoe testirovanie“) je nach Studienwunsch in bis zu vier Fächern abgelegt. Dabei sind 15 Prüfungsfächer möglich (Russisch, Belarussisch, Physik, Mathematik, Chemie, Biologie, Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Geschichte Belarus‘, Gesellschaftskunde, Geographie, neuere Weltgeschichte und seit kurzem auch Chinesisch). Mindestens drei erfolgreich bestandene Fächer sind dabei für die Aufnahme an einer Hochschule notwendig; obligatorische Prüfungen sind in Geschichte Belarus‘ und Russisch oder Belarussisch abzulegen.

Bei besonders gutem Bestehen der zentralisierten Hochschulzugangsprüfungen oder bei herausragenden Leistungen im Rahmen zuvor stattgefundener republikanischer (Schul-)Olympiaden besteht die Möglichkeit, einen kostenlosen Studienplatz zu erhalten; dies beinhaltet ebenfalls die monatliche Auszahlung eines Studienstipendiums. Im Hochschuljahr 2018/2019 waren 250.704 Studierende an belarussischen Hochschulen immatrikuliert. Fast 90 Prozent der Absolventen eines Schulabschlussjahrgangs nehmen ein Hochschulstudium auf. Davon tragen etwa 56 Prozent die Studiengebühren selbst, rund 44 Prozent studieren mit einem Stipendium und erlassenen Studiengebühren auf Staatskosten. Mit der staatlichen Förderung geht einher, dass letztere nach Abschluss des Studiums zwei Jahre lang – zu sehr geringen Löhnen – an einem zugeteilten Arbeitsort eingesetzt werden („raspredelenie“), wobei hier insgesamt seit etwa drei bis vier Jahren Lockerungen zu konstatieren sind – zum Beispiel durch Aufschub für Weiterbildungen und Studium, mehr Wahlfreiheit beim Einsatzort oder die Möglichkeit der Förderungsrückzahlung an den Staat.

Seit Mai 2015 ist Belarus Mitglied des Einheitlichen Europäischen Hochschulraums. Im Zuge der Anpassung des Hochschulsystems an die Bologna-Maßgaben wurden an einigen Universitäten auch Bachelor- und Masterstudiengänge (zum Beispiel ausgewählte Studiengänge an der Belarussischen Staatlichen Universität oder auch an der Russisch-Belarussischen Universität) sowie Credit Points eingeführt. Letztere können aber nicht an allen Universitäten und nur für Studierende, die nach 2015 immatrikuliert worden sind, angegeben werden. Die weitere Entwicklung und Umsetzung der Auflagen zum Verbleib im Bologna-Raum bleibt abzuwarten; der in diesem Zusammenhang seit 2015 erwartete neue Bildungskodex wurde bislang nicht fertiggestellt.

Das derzeitige Bildungssystem sieht die Aufnahme eines Hochschulstudiums mit 17 Jahren und eine Studiendauer von vier bis sechs Jahren vor. Der Abschluss des ersten grundständigen Studiums schließt in der Regel mit dem Erwerb eines Diploms als „Spezialist für [Fachgebiet]“ ab. Die sich daran anschließende mögliche Magistratur dauert ein bis zwei Jahre. Hierbei sind zwei mögliche Varianten zu unterscheiden: Die erste Magistraturmöglichkeit bereitet explizit auf eine wissenschaftliche Tätigkeit vor; die zweite ist durch einen höheren Praxisanteil gekennzeichnet und ermöglicht keinen Zugang zum dritten Studienzyklus „aspirantura“.

Der Zugang zur „aspirantura“ wird in der Regel mit Erreichen des „kandidatskij minimum“ im forschungsorientierten Magisterstudium erworben. Die „aspirantura“ dauert drei Jahre und sieht zwei mögliche Abschlussformen vor: Einreichen der schriftlichen „kandidatskaja dissertacia“ sowie anschließende mündliche Verteidigung für den Erwerb des Titels „Kandidat für [wissenschaftliches Fachgebiet]“. Seit etwa drei Jahren besteht die Möglichkeit, ohne Verteidigung der Kandidatendissertation ebenfalls im wissenschaftlichen Hochschulbereich zu verbleiben; nach dem Einreichen der Dissertationsschrift wird das „diplom issledovatelja“ (Forscherdiplom) zuerkannt.

Verfasserin: Jenny Ettrich, ehemalige Leiterin des seit 2021 geschlossenen DAAD-Informationszentrums Minsk

(Stand Juni 2021)
 

Informationen

Im Juli 2021 erhielt die Deutsche Botschaft in Minsk vom Belarussischen Außenministerium die Aufforderung, die Tätigkeit des DAAD in Belarus innerhalb von vier Wochen einzustellen. Als Organisation der deutschen Hochschulen und Studierendenschaft bedauern wir den Schritt der belarussischen Regierung sehr. Wir stehen für akademischen Austausch und grenzüberschreitende wissenschaftliche Kooperation, auch in herausfordernden Zeiten. Wir hoffen, dass wir unsere Arbeit in Belarus in Zukunft wieder aufnehmen können.