Südkorea: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Das moderne südkoreanische Hochschulsystem wurde - geschichtlich bedingt - stark vom US-amerikanischen Modell beeinflusst. Nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft wurde unter US-amerikanischer Treuhandverwaltung das im Grundsatz bis heute gültige 6-3-3-4-System beschlossen: 6 Jahre Grundschule, 3 Jahre Mittelschule, 3 Jahre Oberschule (High School) und 4 Jahre College beziehungsweise Universität, mit dann folgender Spezialisierung im Master- und Promotionsbereich. Am Ende des letzten Schuljahres steht die universitäre Zulassungsprüfung „College Scholastic Ability Test“ (CSAT oder „Suneung“). Allerdings ist ein Wandel eingetreten: Im Jahr 2018 wurden nur noch ca. 23 Prozent der Erstsemesterstudierenden auf alleiniger Basis dieser Prüfung zugelassen. Der weitaus größere Teil erlangte die Zulassung über andere Kriterien wie schulischer Notendurchschnitt, verschiedene Aufnahmeprüfungen einzelner Universitäten oder über den Nachweis extracurricularer Aktivitäten. Der erfolgreiche Eintritt in eine prestigeträchtige Universität ist von enormer gesellschaftlicher Bedeutung und wird von Eltern, Schülerinnen und Schülern unter größtem Einsatz finanzieller und persönlicher Ressourcen vorangetrieben. Ist die Zulassung erst einmal geschafft, ist in vielen Fächern der Universitätsabschluss „gesetzt“.

Südkorea verfügt über ein differenziertes Hochschulsystem. Universitäten oder auch bestimmte Colleges bieten vierjährige Bachelor-Studiengänge an (fünf- oder sechsjährig für Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Architektur). Dem können weiterführende Studiengänge zum Master (2 Jahre) und zur Promotion (3-4 Jahre Minimum) folgen. An pädagogischen Hochschulen wird eine vierjährige Lehrerausbildung angeboten (Schwerpunkt Primarschulausbildung). Daneben existieren berufsvorbereitende Colleges (zwei- oder vierjährig), Fernuniversitäten sowie Hochschulen, die zwei- oder vierjährige Studiengänge anbieten. Die berufsorientierte Bildung steht immer noch sehr im Schatten der universitären Bildung, besonders wenn diese an sehr prestigeträchtigen Universitäten erfolgt. Im Jahr 2019 existierten in Südkorea laut Angaben des südkoreanischen Bildungsministeriums insgesamt 430 Institutionen des tertiären Bildungsbereichs, darunter 191 Universitäten (ca. 50 davon sind Forschungsuniversitäten), 10 Pädagogische Hochschulen sowie 45 (akademische) Graduiertenschulen („Graduate School Colleges“, diese sind übrigens nicht zu verwechseln mit den 1138 Einrichtungen ähnlichen Namens, nämlich den „Graduate Schools“, an denen eine praxisorientierte Ausbildung stattfindet). Hinzu kommen noch 21 Fernhochschulen. Im Jahr 2019 unterrichteten im südkoreanischen Tertiärbereich 89.345 Dozentinnen und Dozenten in Vollzeit, davon 69.367 im universitären Bereich. Zusätzlich sind im tertiären Sektor noch 126.367 teilzeitbeschäftigte Dozentinnen und Dozenten tätig.

Die Rate der Hochschulabsolventinnen und -absolventen innerhalb der Kohorte junger Erwachsener von 25 bis 34 Jahren stieg von 2008 (58 Prozent) bis 2018 (70 Prozent) deutlich an; damit belegt Südkorea innerhalb der OECD einen Spitzenplatz. Diese Überakademisierung demonstriert einerseits in grundsätzlicher Form den erheblichen Bildungsdrang der südkoreanischen Bevölkerung, geht allerdings mittlerweile mit diversen Problemen einher: So betrug die Jugendarbeitslosigkeit 2019 nach OECD-Angaben 10,4 Prozent. Noch aussagekräftiger sind die Ergebnisse einer Studie des National Youth Policy Institute aus dem Jahr 2017: Hier wird der Prozentsatz der sog. NEETs (Not in Education, Employment or Training) befindlichen Personen in der Altersgruppe von 25-29 Jahren auf 20,9 Prozent, in der Gruppe der 20-24-Jährigen auf 13,4 Prozent beziffert. Es hat sich unter diesen Vorzeichen bei vielen eine deutliche Krisenhaltung eingestellt, da das gesamte Bildungsmodell im Grunde auf die Einschreibung in eine Eliteuniversität und den darauf folgenden Eintritt in einen Großkonzern („Chaebol“) orientiert ist und durch den Wegfall dieser als sicher geglaubten Automatismen das System in eine grundsätzliche Legitimitätskrise gerät. Die südkoreanische Regierung versucht unter anderem mit Arbeitsvermittlungsangeboten ins Ausland und mit Förderungen von praxisorientierten Ausbildungsangeboten gegenzusteuern.

Südkoreanische Schüler und Studierende sind systembedingt gezwungen, sehr prüfungs- und ergebnisorientiert zu lernen. So wird das Studienfach oft nicht aus Interesse, sondern aus extrinsischen Gründen gewählt, wie beispielsweise dem Wunsch nach einem Studienplatz an einer prestigeträchtigen Universität, anstelle des Wunschstudiums an einer weniger angesehenen Hochschule.

Die überwiegende Mehrheit der Universitäten ist in privater Trägerschaft (156), lediglich 35 sind in öffentlicher Hand. Die Mehrzahl der renommierten Hochschulen des Landes ist in der Hauptstadt Seoul zu finden; in dieser Gruppe wiederum sind die "SKY Universities" (SNU, Yonsei University, Korea University) am renommiertesten. Im K-Star-Verbund sind exzellente Technische Universitäten und Forschungseinrichtungen außerhalb Seouls zusammengefasst. Eine Besonderheit im südkoreanischen Bildungssystem stellen spezielle Schulen und Universitäten nur für Frauen dar. Diese stammen aus der Zeit, als diese Einrichtungen generell Männern vorbehalten waren. In diesem Umfeld wurden spezielle Institutionen zur Hochschulbildung für Frauen in erster Linie von Kirchen oder auch durch private Initiative gegründet.

Universitäre Rankings besitzen in Südkorea eine überragende Bedeutung. Das populärste lokale Ranking ist das der Tageszeitung „Chung Ang Daily“, das in erster Linie die Zahl der Publikationen zugrunde legt, aber auch Kriterien wie „Employability“.

Kennzeichen des Systems insgesamt ist eine sehr hohe Beteiligung der Privathaushalte an den Bildungsausgaben. Während die Höhe der gesamtgesellschaftlichen Bildungsausgaben (öffentlich) mit Deutschland vergleichbar ist, tragen private Haushalte in ungleich größerem Maße zur Finanzierung des Hochschulwesens bei. So lag im Jahr 2016 der von dort erbrachte Finanzierungsgrad des Tertiärsektors nach OECD-Angaben bei 44,3 Prozent, lediglich 37,6 Prozent steuerte die öffentliche Hand bei (weitere 18,2 Prozent stammten von sonstigen privaten Einrichtungen). Zum Vergleich: In Deutschland lag die Staatsquote bei 84,6 Prozent.

Südkorea entwickelt gezielt und mit hohen Investitionsvolumina den Forschungssektor, um eine wichtige Grundlage des wirtschaftlichen Wachstums für die Zukunft zu sichern. So belegte das Land bei den Bruttoausgaben für Forschung und Entwicklung (GERD) in Höhe von 4,53 Prozent des BIP im Jahr 2018 innerhalb der OECD-Staaten hinter Israel den zweiten Platz (Deutschland: 3,13 Prozent).5 Während noch immer ein Großteil der Forschungsausgaben in die angewandte und industrielle Forschung fließt, wird seit etwa 2008 mit massiven Mittelaufwüchsen in den Aufbau der Grundlagenforschung investiert, um akademische Innovationskapazitäten aufzubauen, beziehungsweise im globalen, aber auch besonders im innerasiatischen Wettbewerb mit zu halten. Augenfälligstes Zeichen ist der Aufbau der Institutes for Basic Science (IBS) nach dem Vorbild der Max-Planck-Institute oder auch die Entwicklung des “International Science Business Belt” in Daejeon. Deutsche Interessen an der Forschungslandschaft in Südkorea spiegeln sich in der Tatsache wider, dass das BMBF von 2005 bis 2017 circa 250 Kooperationsprojekte förderte, unter anderem in der Informations- und Kommunikationstechnologie, Nanotechnologie, Materialforschung, physikalischen und chemischen Technologien sowie in der Umweltforschung und den Lebenswissenschaften (GATE: Länderbericht Südkorea). Laut Hochschulkompass sind gegenwärtig 110 südkoreanische Hochschulen in 546 Kooperationen mit deutschen Partnern verbunden (Stand: Juni 2020).

Verfasser: Lars Bergmeyer, Leiter des DAAD-Informationszentrums Seoul

Der DAAD ist in Korea mit einem Informationszentrum in Seoul vertreten. Darüber hinaus gibt es jeweils ein Lektorat an der Yonsei University, an der Ehwa Woman’s University, an der Seoul National University, an der Korea University, an der Keimyung University Daegu und an der Pusan National University.