Iran: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Basierend auf einem im Wesentlichen in den 1950er bis 1970er Jahren etablierten akademischen System mit heute 4,07 Millionen Studierenden, die in einem harten Wettbewerb um die Studienplätze an den großen, iranischen Universitäten stehen, hat sich das Land in den letzten Jahren eine wissenschaftliche Hegemonialstellung in der Region erobert. Während insbesondere in den Jahren nach der islamischen Revolution 1979 eine Verbreiterung der iranischen Hochschullandschaft stattgefunden hat, zielten ab den 1990er Jahren wissenschaftspolitische Initiativen auf akademische Qualitätssicherung und -steigerung ab. Dies geschah zu großen Teilen durch eine signifikant große Gruppe von iranischen Wissenschaftlern, die im Ausland (vornehmlich in den USA, Kanada und Europa) ausgebildet worden waren und trotz des iranischen Pariah-Status den Anschluss an die westliche Wissenschafts-Community nicht verloren hatten. Das spiegelt sich u.a. in der traditionell guten akademischen Ausbildung in etwa Mathematik und den Ingenieurswissenschaften wider.

Alle iranischen Spitzenuniversitäten sind staatliche Universitäten, abgesehen von den Islamischen Azad Universitäten in den größeren Städten des Landes, wie etwa in Teheran, Isfahan oder Mashhad. Die derzeit 63 staatlichen Hochschulen stehen unter der direkten Oberaufsicht der Ministerien für Wissenschaft bzw. Gesundheit/Medizinische Bildung. Die Islamische Azad-Universität ist die größte private Hochschule mit verschiedenen Standorten bzw. einem Netzwerk von Hochschulen an über 390 Standorten im Iran bzw. im gesamten Nahen und Mittleren Osten sowie in Europa. Sie ist die Hochschule mit den meisten Studierenden im Iran und aufgrund ihrer vielen Zweigstellen eine der größten Universitäten weltweit mit mehr als 1.540.000 Studierenden (darunter über 425,000 Masterstudierenden und über 52,000 Promovierenden). Ihr zentraler Sitz ist in Teheran. Sie wurde 1982 von Ali Akbar Hashemi Rafsanjani gegründet, der bis zu seinem Tod im Vorstand saß. Nach dem Tod Rafsanjanis bekleidet nun der konservative aktuelle Berater des Revolutionsführers für internationale Angelegenheiten, Ali Akbar Velayati, das Amt des Vorsitzenden des Universitätsrats.

Die Payame-Nur Universität ist eine halbstaatliche Universität mit Hauptstandort in Teheran, 31 Zweigstellen in verschiedenen Provinzen, 502 Campus im gesamten Land und einem International Study Center in Teheran. Die staatlich anerkannte Payame-Nur Universität wurde 1988 gegründet und hat circa 3,900 akademische Mitarbeiter und über 490,000 Studierende. Im Vergleich zum Jahr 2005 hat sich die Anzahl der Studierenden aufgrund demografischer Faktoren an dieser Universität um die Hälfte reduziert.

An allen Universitätstypen wird das Studium in drei Abschlussarten aufgegliedert: BA (Karshenasi), MA (Karshenasi-arshad) und Doktorat. Die Aufnahme an staatlichen und privaten Hochschulen im Iran wird i.d.R. durch eine Aufnahmeprüfung (Konkour-e Sarasari) geregelt. Es gibt aufgrund der verschiedenen Hochschultypen diverse Aufnahmeprüfungen: Die Aufnahmeprüfung (Konkour-e Sarasari) für staatliche Hochschulen, für Payame-Nur und die Non-Profit Institutes of Higher Education (Daneshgahe Gheire Entefaie) gilt neuerdings auch für die islamischen Azad Universitäten. Weiterhin gibt es die Aufnahmeprüfung für medizinische Hochschulen, jeweils für staatliche und private.
An den Top-Universitäten hat die Mehrheit der Professoren im Ausland promoviert, vor allem in den USA, Kanada, Australien, Europa (England, Frankreich und Deutschland), Russland, Indien und Malaysia (in dieser Reihenfolge).

Die in den letzten Jahren enorm gestiegene Anzahl der PhD-Studiengänge an iranischen Universitäten hat dazu geführt, dass viele Promovierte nicht ins Ausland gehen, sondern an iranischen Hochschulen, meistens an den islamischen Azad Universitäten oder an den Payame-Nur Universitäten, beschäftigt werden.
Dieser Trend wiederum stärkt auch die Kapazitäten und Kompetenzen für Forschung an den meisten Hochschulen des Landes. Es gehört zur Bildungspolitik Irans, forschungsorientierte Studiengänge anzubieten. Die Qualität von Forschungsleistungen lässt sich in erster Näherung quantitativ anhand der Veröffentlichungen darstellen: Laut dem Institut for Scientific Information (ISI) erreichte Iran Ende 2017 den 16. Platz auf der internationalen Länderliste hinsichtlich der Veröffentlichung wissenschaftlicher Publikationen und den ersten Platz unter den Ländern der Region. So produzierten iranische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Jahr 2017 36,766 wissenschaftliche Texte und damit einen Anteil von 1,93 Prozent aller wissenschaftlichen Arbeiten weltweit.

Dem Umstand, dass viele der Hochschulen unzureichend ausgestattet sind (Labore, Geräte, etc.), versuchen das Wissenschafts- und Industrieministerium entgegenzuwirken. Strukturelle und nachhaltige Verbindungen zwischen der Wissenschaft und der Wirtschaft sollen so bspw. durch das Einrichten von universitätsnahen und forschungsorientierten Technologieparks an großen Hochschulen wie der Universität Teheran geschaffen werden.
Neben diesen Ministerien ist außerdem das Gesundheitsministerium in hochschulpolitische Fragen involviert, gerade bei den medizinischen Universitäten, die unter der Verwaltungsaufsicht des Ministeriums stehen.

Der Hochschulsektor wurde im Iran in den letzten Jahren weiter ausgebaut. Nach der hohen Geburtenrate in den 1980er und 90er Jahren und dem besagten Ausbau gibt es heute nunmehr für alle Schüler theoretisch einen Studienplatz im Iran, wobei der Wettbewerb um Plätze an den besten Universitäten unverändert hart bleibt. Den leichtesten Zugang zur tertiären Bildung abseits der Großstädte bieten die Payame-Nur, die Islamische Azad Universitäten sowie das Non-Profit Institute of Higher Education. Weitere Optionen bieten die technischen und beruflichen Bildungseinrichtungen – also nicht die staatlichen Hochschulen, an welchen der Zugang aufgrund einer geringen Anzahl von Studienplätzen, oft höherer Qualität der Studiengänge und entsprechend stärkerem Wettbewerb, schwieriger ist. Dies gilt insbesondere für Fächer wie Medizin und Ingenieurswissenschaften.

Der Studien- und Forschungsstandort Deutschland besitzt einen sehr guten Ruf bei iranischen Studenten und Wissenschaftlern. Die deutsche Hochschullandschaft ist nicht nur sehr bekannt, auch die deutsche Kultur und Sprache werden sehr geschätzt. 2014 lernten laut der Deutschen Botschaft in Teheran 19.000 Iranerinnen und Iraner Deutsch, Tendenz steigend. Auch dank der zahlreichen angebotenen internationalen Studiengänge an deutschen Hochschulen sowie der Gebührenfreiheit in fast allen Bundesländern Deutschlands und der Qualität von Forschung und Lehre hat die Anzahl der iranischen Studenten und Wissenschaftler in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen. Umgekehrt wird der Iran seit einigen Jahren (wieder) von deutschen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und auswärtiger Wissenschaftspolitik mit stark wachsendem Interesse erschlossen.

Eine Herausforderung für deutsche Hochschulen, insbesondere in Fragen von Hochschulprojekten oder -partnerschaften, liegt zum einen in der vergleichsweise hierarchischen Top-Down-Struktur des iranischen Hochschulwesens – mit dem Wissenschaftsministerium an der Spitze. Dieses wiederum steht internationalen Kooperationen seit jüngster Zeit offen gegenüber. Zum anderen müssen sich iranische Studierende aufgrund der internationalen Sanktionen nicht selten mit besonderen Herausforderungen auseinandersetzen: internationaler Geldtransfer ist häufig nicht möglich und auch Visumsprozesse sind sehr langwierig. Darüber hinaus sind aufgrund der EU-Sanktionen Studierende und Wissenschaftler bestimmter „Risiko“-Fächergruppen (Physik, Chemie, Raketentechnik) besonderen Auflagen bzw. Überprüfungen unterworfen. Dies verlängert den Visumsprozess teils um mehrere Monate.

Verfasser: Dennis Schroeder und Frens Stöckel, ehem. Leiter des Informationszentrums Teheran