Welche Schwerpunkte kennzeichnen Ihre Arbeit in Kabul?
Das DAAD-Koordinierungsbüro ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen afghanischen und deutschen Einrichtungen, die am akademischen Aufbau beteiligt sind. Ich bin vor Ort Ansprechpartner für deutsche Hochschulen, Langzeitdozenten, Lektoren und Fachkoordinatoren, die regelmäßig nach Afghanistan reisen, um gemeinsam mit afghanischen Partnern Lehre und Forschung an den Universitäten zu verbessern. Ich koordiniere die gesamte Programmarbeit des DAAD in Afghanistan. Besonders liegt es mir am Herzen, junge Afghaninnen und Afghanen, die sich für ein Studium an einer deutschen Hochschule interessieren, fachlich zu beraten und zu betreuen. In Deutschland stehen fast 13.000 Studiengänge zur Wahl, sodass nahezu jede gewünschte Spezialisierung möglich ist. Jährlich bewerben sich einige Hundert afghanische Hochschulabsolventen beim DAAD um ein Stipendium für ein Master- oder Promotionsstudium. Ob sie es erhalten, entscheiden aber weder ich noch der DAAD, sondern die Professoren in unseren Auswahlkommissionen.
Welche Rolle spielt es, dass das DAAD-Koordinierungsbüro im afghanischen Ministry of Higher Education angesiedelt ist?
Seit 2002 ist der DAAD mit einer Vertretung in Kabul präsent, seit 2006 im Gebäude des Ministry of Higher Education (MoHE). Dies hat mehr als symbolischen Wert: Die Arbeit des DAAD ist kein deutscher Alleingang, sondern erfolgt in enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung. Die langjährige Zusammenarbeit mit dem Ministerium hat gegenseitiges Vertrauen geschaffen, es sind Freundschaften entstanden. Persönliche Beziehungen sind in Afghanistan ein wichtiger Faktor, wenn man etwas erreichen will. Der DAAD ist als die weltweit größte Förderorganisation für den internationalen Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern ein sehr gern gesehener Partner.
Wo steht die Hochschulbildung in Afghanistan?
Die Studienbedingungen haben sich kontinuierlich verbessert, es gibt wesentlich mehr Studienplätze. Das MoHE hat sich in seinem National Higher Education Plan 2010 bis 2014 vorgenommen, die Qualität der Lehre weiter zu steigern und die Nachfrage nach Hochschulbildung zu befriedigen – eine gewaltige Aufgabe: Gab es Anfang 2002 rund 4.000 Studierende, waren es 2011 schon mehr als 81.000. Für 2013 hat sich das MoHE als Zielmarke 115.000 Studienplätze gesetzt, was die Nachfrage immer noch nicht deckt. Die afghanische Regierung steht vor der großen Herausforderung, ausreichend Seminarräume, Ausstattung und angemessen bezahlte Dozenturen bereitzustellen. Das ist auch ein finanzieller Kraftakt.
Über welchen Abschluss verfügen afghanische Hochschuldozenten heute?
Dank des DAAD ist die Anzahl der auf höchstem Niveau ausgebildeten afghanischen Dozenten stetig gestiegen. Zwischen 2002 und 2011 hat der DAAD rund 3.000 afghanische Akademiker weiterqualifiziert. Die Master und PhD-Absolventen sind wichtige Multiplikatoren an ihren Heimathochschulen. Deshalb werden wir hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler weiterhin fördern. Übrigens ist der Frauenanteil unter den Studierenden deutlich angestiegen. Landesweit beträgt er rund 20 Prozent, im Fach Informatik sogar 35 Prozent.
Was hat die Förderung der Hochschulen durch den DAAD bisher gebracht?
Schwerpunktmäßig fördert der DAAD die Fächer Deutsch, Informatik, Good Governance sowie Natur-, Geo- und Wirtschaftswissenschaften. Deutsche Fachkoordinatoren und ihre afghanischen Kollegen haben unter anderem moderne Bachelor-Curricula mit Modellcharakter entwickelt, die schon seit Jahren erfolgreich laufen. Vielerorts wird zurzeit an anschließenden Master-Curricula gearbeitet. Der DAAD hat deutsche Gastdozenten in Afghanistan und Studienaufenthalte afghanischer Dozenten in Deutschland gefördert; es gab Fortbildungen vor Ort, Sachspenden sowie Master- und Promotionsstipendien. Es sind Vorzeigestudiengänge und -fakultäten entstanden, deren Beispiel ausstrahlt, und es wurden ganze Labore eingerichtet. Dekane aller Fakultäten aus ganz Afghanistan treffen sich regelmäßig im Ministry of Higher Education. Dort tauschen wir Ideen und Konzepte aus – das bringt Bewegung in die Strukturen und es entsteht ein Dialog auf gleicher Augenhöhe.
Was reizt Sie an Ihrer Aufgabe in Afghanistan?
Bildung ist in meinen Augen die Grundlage für eine gerechte und zukunftsfähige Entwicklung. Dafür setze ich mich ein. Es macht mich stolz, in Afghanistan arbeiten zu dürfen, seit 2004 kenne ich das Land sehr gut. Die Vielfalt an Sprachen und Ethnien, die unterschiedliche Landschaft – das begeistert mich. Afghanistan ist ein junges und lebendiges Land: 42 Prozent der Afghanen sind jünger als 15! Das Land verändert sich äußerst dynamisch, die Menschen haben einen unglaublichen Aufbruchswillen. Sie zu unterstützen, ist eine sehr große Motivation für mich.
Wie lange wird der DAAD in Afghanistan bleiben?
Wenn Sie damit das Koordinierungsbüro in Kabul meinen, lautet die Antwort, dass das Ende offen ist. Aber unabhängig von diesem Büro wird sich der DAAD dauerhaft – auch nach Übergabe der Sicherheitsverantwortung 2014 – in Afghanistan engagieren. Seit den 1960er Jahren fördert der DAAD den akademischen Austausch mit Afghanistan und unterstützt die Hochschulen. Daran wird sich künftig nichts ändern. Mein Traum ist es, dass in naher Zukunft auch deutsche Studierende an afghanischen Hochschulen studieren, um dort Auslandserfahrung zu sammeln.
Dr. Dieter Ortmeyer war Leiter des DAAD-Koordinierungsbüros von 2011-2013.