Argentinien: Erfahrungsberichte von Menschen vor Ort

Ein Mädchen sitzt im Bus und schaut auf ihr Handy.

Schilderungen von Stipendiaten und Mitarbeitern, die für einige Zeit vor Ort leben, studieren und arbeiten, vermitteln einen lebhaften Einblick in das Land.

Leben am Río Paraná: Von Gauchos, Matetee und Studentenflair

Louise Lust war mit dem DAAD in Rosario. An der Universidad del Centro Educativo Latinoamericano hat sie Betriebswirtschaft studiert. In der Stadt von Lionel Messi und Che Guevara hat sie die argentinische Seele entdeckt.

Von: Louise Lust

Warum es mich nach Rosario gezogen hat

Meinen Studiengang CALA (Deutsch-Lateinamerikanischer Studiengang für Betriebswirtschaft) an der FH Münster habe ich ausgesucht, weil er die besondere Möglichkeit bietet, neben betriebswirtschaftlichen Inhalten auch Kurse zu geopolitischen Themen Lateinamerikas zu belegen und in drei Semestern an einer Partneruniversität einen Doppelabschluss zu erhalten. Als nach den vier Semestern in Münster der Zeitpunkt kam, eine der sechs Partneruniversitäten auszuwählen, entschied ich mich für Rosario in Argentinien. Maßgeblich beeinflusst wurde diese Entscheidung von den Erfahrungen während eines Work-and-Travel-Aufenthalts in Neuseeland, da ich dort viele argentinische Freunde gefunden hatte. Nachdem mir dort mehrere Monate lang matetrinkend von Dulce de Leche, Asados und Maradona erzählt wurde, fühlte ich mich praktisch dazu verpflichtet, mir selbst ein Bild von diesem Land zu machen.

Wenn Argentinier auch gerne übertreiben, besonders was ihr Land und ihre Kultur betrifft, enttäuscht wurde ich nicht. Rosario ist mit nur einer Million Einwohnern um einiges kleiner als die 300 km entfernte Hauptstadt Buenos Aires, hat aber auch ein großes Kulturangebot zu bieten und besonders die kilometerlange Uferpromenade am Paraná macht die Stadt sehr lebenswert. Im Sommer findet sich hier die halbe Bevölkerung Rosarios wieder, matetrinkend natürlich, oder alternativ kann man in Booten auf die bestrandeten Flussinseln rüberfahren und dort das Stadtleben hinter sich lassen.

Mein Studium auf dem argentinischen Campus

Meine Partneruniversität ist eine kleinere Privatschule, was gut ist, da in den öffentlichen Universitäten oft wochenlang gestreikt wurde. Die Fächer konnte ich leider nicht alle selbst auswählen, aber ich hatte eine große Bandbreite an Kursen aus verschiedenen Bereichen. Auf der einen Seite standen viele „typische“ BWL-Fächer, wie Kostenrechnung, Steuerrecht und Internationales Marketing zur Auswahl, auf der anderen Seite aber auch Fächer wie Argentinische Wirtschaftsgeschichte und Geographie des Mercosur, wodurch mir noch viele weitere Aspekte dieses Landes vertrauter wurden. Der Unterrichtsstil der verschiedenen Professoren hat auch sehr variiert. Manche Vorlesungen waren auf Basis von PowerPoint-Präsentationen, ähnlich wie in Deutschland, andere Professoren diktierten uns jedoch die ganze Stunde lang Texte, was mir oft wenig sinnvoll vorkam. In manchen Fächern musste man ewige Listen von Stichpunkten auswendig lernen, in anderen lag der Schwerpunkt jedoch auf Übungsaufgaben. Vor allem in den finanzlastigen Kursen hat mir dies besser gefallen als in Deutschland, wo der praktische Teil oft etwas zu kurz kam.

Mit dem Prüfungssystem hatte ich sehr lange Probleme, da in jedem Fach andere Bedingungen herrschen, um den Status „frei“, „regulär“ oder „befördert“ zu erhalten. Manchmal kann man nicht bestandene Prüfungen wiederholen, manchmal nicht. Manchmal können gute Zwischennoten die Endklausur ersetzen, manchmal die Endklausur verkürzen. So ganz verstanden habe ich alles immer noch nicht, aber irgendwie bekommt man doch immer mit, was die jeweilige Note dann für Konsequenzen hat.

In Rosario habt ihr ein breites Freizeitangebot

Außerhalb der Uni spiele ich Inlinehockey, was ich in Deutschland vor kurzem angefangen hatte, und glücklicherweise habe ich hier auch einen Verein gefunden, der diesen Sport anbietet. Außerdem habe ich eine Kunstschule gefunden, die Aquarellkurse anbietet, was ich auch schon länger mal ausprobieren wollte. Sonst gibt es viele Angebote von Bars oder Sprachschulen für internationale Sprachstammtische oder Spielabende, wo man besonders gut Argentinier treffen kann, die auch an anderen Kulturen interessiert sind. Mit Freunden kann man sich eigentlich immer auf einen Mate im Park oder zuhause treffen und  kleine Restaurants oder Barbecues im Freien (sogenannte Asados) gibt es zum Glück auch häufig genug, auch im Winter.

Reisen ist eher schwierig, da man am Anfang oft unterschätzt, wie lang die Distanzen zwischen den argentinischen Städten doch sind. Nach Buenos Aires sind es 4 Stunden Fahrt, in die Region Cordoba schon über 6 Stunden und für die meisten anderen bekannten Ziele muss man sich zwischen einer tagelangen Busfahrt oder einem Flug entscheiden.

Die größten Herausforderungen in Argentinien

Schwierigkeiten hatte ich vor allem am Anfang in der Uni, da das Prüfungssystem doch sehr anders und kompliziert ist und meine Kommilitonen leider eher uninteressiert an der einzigen Austauschschülerin waren. Außerdem hat mir die Bürokratie sehr zu schaffen gemacht, zum Bespiel ist mein Visum nach einem Jahr immer noch nicht fertiggestellt und ich muss deshalb ständig meine vorläufige Aufenthaltsbestätigung verlängern. Das deutsche Abitur wird hier auch nicht anerkannt, also musste ich mich an einer Sekundärschule zu verschiedenen Themen der argentinischen Geschichte, Literatur und Geographie prüfen lassen. Auf der einen Seite war es ein sehr aufwendiger Prozess, auf der anderen Seite habe ich jedoch auch einiges mitnehmen können. So ist es zum Beispiel immer sehr nützlich, alle Provinzen mit Lage und Hauptstadt zu kennen, und wenn man mal schlau tun will, kann man ein paar Strophen aus dem Gaucho-Klassiker „Martin Fierro“ zitieren.

Eine weitere große Herausforderung war es, sich an die späten Essenszeiten zu gewöhnen. Hier isst man meist erst um 22 Uhr zu Abend und wenn man zu einem Essen in größerer Runde eingeladen wird, wartet man auch schon mal bis nach Mitternacht. In solchen Fällen macht es dann Sinn, vorausschauend schon vorher etwas zu essen oder einfach zweimal abendzuessen. Komplizierter ist die Situation, wenn man nach einem langen Tag nach Hause kommt und sich nur noch einen fetten Burger in die Wohnung liefern lassen möchte, aber feststellt, dass die früheste Lieferzeit um 21:30 Uhr ist.

Eine weitere Sache, an die ich mich gewöhnen musste, ist der Begrüßungskuss mit Berührung der rechten Wange. An sich finde ich es gut, dass es eine feste Begrüßungsetikette gibt und man nicht wie in Deutschland in jeder Situation zwischen Händeschütteln und Umarmung wählen muss. Wenn ich mich aus einer größeren Gruppe verabschieden muss, würde ich jedoch oft am liebsten ein lautes „Tschüss dann“ in die Runde rufen und gehen, statt mich von jedem Einzelnen per Kuss zu verabschieden.

Was ich aus Argentinien mitnehme

Fachlich finde ich es besonders wichtig und interessant, alle möglichen Unterschiede zwischen Deutschland und Argentinien aufzudecken. Sowohl im Sinne von verschieden Abläufen und Normen in den Unternehmen, als auch kulturell bedingte, verschiedene Einstellungen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Persönlich wollte ich auch mir selbst beweisen, dass ich in einem fremden Land auf einer anders strukturierten Universität studieren und gute Noten erzielen kann, ohne die Sprache dabei ein Hindernis sein zu lassen. Ich denke, das Wichtigste an einem Auslandsaufenthalt ist es, alle Möglichkeiten an Aktivitäten wahrzunehmen, die einem so angeboten werden. So macht man maximal viele Erfahrungen und lernt Leute aus verschiedensten Bevölkerungsgruppen kennen.