Algerien: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Die politischen Beziehungen zwischen Algerien und Deutschland sind traditionell gut, freundschaft-lich und wurden auch zu Zeiten des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren aufrechterhalten. U.a. dies hat dazu beigetragen, dass Algerien seine aus diesen "schwarzen Jahren" rührende außenpolitische Isolation überwinden konnte und heute Mitglied verschiedener internationaler und regionaler Organi-sationen (u.a. UNO, OPEC, Arabische Liga, Union des Arabischen Maghreb) ist. Im Zuge der jünge-ren internationalen Flüchtlingspolitik rücken die nordafrikanischen Staaten und damit auch Algerien zudem wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit.  

Das Bildungswesen hat seit der Unabhängigkeit (1962) quantitative und qualitative Fortschritte ge-macht. Noch zu französischen Kolonialzeiten 1909 als erste Universität gegründet, war die Univer-sité d'Alger 1 mehr als 50 Jahre die einzige Hochschule des Landes. Zum Zeitpunkt der Unabhän-gigkeit Algeriens 1962 war das Bildungssystem hochgradig exklusiv und vor allem darauf ausgelegt, die französische Kolonialelite auszubilden. Ab 1963 wurden jedoch mit der Gründung des Ministeri-ums für Bildung erste Schritte in Richtung eines inklusiven und offenen Bildungssystems unternom-men. So ersetzte etwa von nun an das Arabische das Französische als offizielle Landessprache, was sich auch im Bildungssystem niederschlug.

Heute besteht die Hochschullandschaft in Algerien aus insgesamt 106 Einrichtungen der Höheren Bildung in 48 Verwaltungsbezirken.  Hierzu gehören:
-    50 Universitäten,
-    13 Universitätszentren,
-    20 Ecoles Nationales Supérieures (Nationale wissenschaftliche Elitehochschulen)
-    10 Ecoles Normales Supérieures (Wissenschaftliche Hochschulen)
-    11 Ecoles Préparatoires und 2 Ecoles Préparatoires Intégrées.

Die Gesamtzahlen immaktrikulierter Studierender ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, sie liegen im Moment bei mehr als 1,5 Millionen (Vergleich: 2012: 1,2 Millionen). Grund dafür sind unter anderem die hohen Investitionen der algerischen Regierung in Hochschulbildung. So ist das Studium kostenlos, für Unterkunft, Transport und Verpflegung zahlen Studierende nur einen symbo-lischen Preis. Die Qualitätssicherung für die wachsende Anzahl an Studierenden ist eine der größten Zukunftsherausforderungen für das algerische Hochschulsystem. Die Universitäten und die Universi-tätszentren werden zentral vom zuständigen Ministerium für Hochschulbildung verwaltet.

Um den steigenden Einschreibezahlen gerecht zu werden, wurden allein in den letzten zwei Jahren knapp 20 neue Einrichtungen gegründet. Ebenso wurde im Dezember 2016 erstmals veranlasst, dass auch private Hochschulen anerkannt werden. Aus rund 30 Bewerbungen hat das algerische Hochschul- und Forschungsministerium (MESRS) neun private Hochschulen ausgewählt, die für das akademische Jahr 2018/19 erstmals akkreditiert wurden. Es handelt sich dabei um private Hoch-schulen in den Bereichen Management, Marketing, Kommunikation, Wirtschaft und Sprachen. Diese Hochschulen sollen sowohl enger an den Bedürfnissen des lokalen Arbeitsmarktes ausgerichtet sein als auch die Internationalisierung vorantreiben. In beiden Feldern gibt es in Algerien Reformbedarf, der innerhalb der jahrzehntelang gewachsenen und starren Strukturen der staatlichen algerischen Hochschulbildung nur schwer realisierbar scheint.

Das Studium in Algerien ist kostenlos, Unterkunft, Transport und Verpflegung für Studierende eben-so. Die Qualitätssicherung für die große Anzahl an Studierenden ist eine der größten Zukunftsher-ausforderungen für das algerische Hochschulsystem. Die Universitäten und die Universitätszentren werden zentral vom zuständigen Ministerium für Hochschulbildung verwaltet. Schulen und Institute mit bestimmten Fach- oder Themenschwerpunkten stehen dagegen unter der Verwaltung desjeni-gen Ministeriums, zu dessen Bereich dieser Schwerpunkt zugeordnet ist.

Die meisten Universitäten befinden sich an der nördlichen Küste Algeriens. In ihrem Aufbau ähneln sie stark den französischen Hochschulen. In den letzten Jahren wurden große Universitätszentren vorwiegend in eher ländlichen Regionen mit einer beschränkten Auswahl an Studienangeboten an-gesiedelt. Dieses ist in der Regel eher naturwissenschaftlich und auf Ingenieurwissenschaften aus-gelegt und bedient primär die Bedürfnisse des regionalen Arbeitsmarktes. Dennoch ist, wie auch in den anderen Ländern Nordafrikas, die Arbeitslosenquote unter Hochschulabsolventen hoch, neben fehlenden Jobs und einer trägen Wirtschaft vermitteln jedoch auch die Hochschulen, wie erwähnt, kaum praxisnahe Qualifikationen die von potenziellen Arbeitgebern nachgefragt sind. Anders als die Universitäten und die Universitätszentren sind spezialisierte (Fach- und Hoch-) Schulen und andere weiterführende Bildungsinstitute nicht der alleinigen Hoheit des Hochschulministeri-ums untergeordnet. Vielmehr unterstehen diese dem Hochschulministerium oder dem Ministerium für Berufsbildung und einem weiteren assoziierten Ministerium (bspw. Landwirtschaft, Energie, Ge-sundheit, Industrie etc.).

Seit 1991 wird an Hochschulabsolventinnen und -absolventen (Universitäten und nicht-Universitäten) der meisten Fachrichtungen in der Regel nach drei Jahren das Diplôme d’Etudes Universitaires Ap-pliqués (DEUA) vergeben. In der Medizin, der Pharmazie und der Tiermedizin sowie der Architektur und den Ingenieurwissenschaften werden nach fünfjährigen Programmen die Diplome vergeben. Diese umfassende Reform der algerischen Hochschulen (technische Studiengänge: französisch-sprachig, geisteswissenschaftliche Studiengänge: arabischsprachig) gehört zu den schwierigen Auf-gaben, die die algerische Regierung bewältigen muss. Die Algerierinnen und Algerier haben seit 2004 schrittweise ein Bologna-kompatibles LMD-System eingeführt (3-jähriges Bachelor-Studium, 2-jähriges Masterstudium sowie ein 3-jähriges Doktorat-Studium). Ähnlich wie in Deutschland ist der Reformprozess nicht unumstritten und hat in studentischen Kreisen zum Teil heftigen Widerstand hervorgerufen. Auch aus den Reihen der Lehrenden wurden kritische Stimmen laut. Zudem ist der Stand der Umsetzung an den einzelnen Universitäten unterschiedlich, an einigen Hochschulen exis-tieren altes und neues Studiensystem parallel.  

Der Schwerpunkt der Reformanstrengungen liegt auf einer bewusst verstärkten naturwissenschaftli-chen Ausrichtung (darunter auch erneuerbare Energien) der algerischen Universitäten. Fremdspra-chen – mit besonderer Betonung des Französischen (derzeit ab der dritten Klasse), aber auch des Deutschen – sollen wieder stärker unterrichtet werden.
Im September 2016 wurde vom Hochschulministerium eine neue Hochschulstrategie vorgelegt. Die-se hat zum Ziel, die Qualität der Ausbildung an algerischen Hochschulen zu verbessern, die Be-schäftigungsfähigkeit der Hochschulabgänger zu steigern und Forschung zu stärken.  Allein zwi-schen 2008 und 2016 wurde die Anzahl von Forschungslaboren an algerischen Universitäten von 600 auf 1.400 erhöht, auch wurden zusätzliche Stellen für Forschende und Doktoranden geschaffen und die Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen erhöht.  Um sicherzustellen, dass staatlich geförderte Forschungseinrichtungen ein Mindestmaß an Qualität aufweisen, wurden diese 2016/2017 einer Evaluation unterzogen – im Ergebnis sollen 25 Prozent aller Einrichtungen nicht weiter finanziert werden.  

Für eine Einstellung als Lehrkraft einer Schule ist nun ein Masterabschluss notwendig. Lehrkräfte an den Hochschulen müssen (offiziell) mindestens promovieren. Durch die Umstellung des Studiensys-tems wird der Lehrermangel an Gymnasien wie auch an den Universitäten weiter und gravierend verschärft. Ein Programm zur Lehrerausbildung mit dem Ziel einer curricularen Einbindung wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Algerische Hochschulen schließen in Universitätsrankings in den vergangenen Jahren regelmäßig schlecht ab , was das MESRS bereits 2016 zum Anlass nahm, um ein noch größeres finanzielles Engagement für Hochschulen zu versprechen. Im Vergleich zu 2017, als es lediglich die Universität von Tlemcen ins Ranking geschafft hatte, tauchen in der aktuellen Rangliste von 2019 zudem noch die Universitäten von Béjaja, Constantine und die USTHB Algier auf – wenn auch auf den hinteren Plätzen.

Verfasser: IC Tunis, Holger Radke (DAAD-Lektor Algerien)

Der DAAD ist derzeit in Algerien mit jeweils einem Lektorat an der Université d‘Oran und an der Université Alger in Algier vertreten.