Ägypten: Bildung und Wissenschaft

Studierende am Rednerpult ihrer Dozentin.

Das ägyptische Bildungs- und Hochschulwesen ist stark zentralisiert und steht vor massiven Herausforderungen in puncto Ausstattung, Qualität, Praxisbezug, Marktorientierung und Beschäftigungsfähigkeit. Wer sich nach sechs Jahren an der Grundschule und drei Jahren an der berufsqualifizierenden Mittelschule für drei weitere Jahre an einem Gymnasium entscheidet, erwirbt dort die Allgemeine Hochschulreife, mit der er/sie dann an eine Hochschule zugeteilt werden kann. Rund 30 Prozent der Bevölkerung im entsprechenden Alter besucht eine Hochschule, allerdings schließt nur ungefähr die Hälfte davon das Studium auch ab. Während sich private Institutionen ihre Studierenden bisher im Rahmen von Bewerbungsverfahren auswählen können, sind die staatlichen Hochschulen verpflichtet, hohe Zahlen von Studierenden aufzunehmen. Bis 2030 soll die Zahl bis auf 3,5 Mio. steigen.
Ägypten hat eine lange akademische Tradition und gilt als das wissenschaftlich bedeutendste Land in der arabischen Welt. Es gibt derzeit 26 staatliche Universitäten und 31  private Institutionen sowie fünf so genannte „National non profit“-Hochschulen, auf die sich ungefähr 2,9 Mio. Studierende verteilen; nur rund 80.000 davon sind an den privaten Hochschulen eingeschrieben. Mehrere der staatlichen Universitäten gehören zu den 50 größten Hochschulen der Welt. Die Universität Al Azhar, gegründet 950, ist die größte mit über 400.000 Studierenden, sie untersteht allerdings als einzige Universität nicht dem Hochschul-, sondern dem Religionsministerium. Ihr folgen zahlenmäßig die Cairo University mit rund 300.000 und die Ain Shams-Universität mit rund 190.000 Studierenden. Außerhalb Kairos sind die Universitäten Alexandria mit etwa 200.000 Studierenden sowie die Universitäten Mansoura (Nildelta) und Assiut (Oberägypten/Upper Egypt) die traditionsreichsten Standorte. Eine staatliche „non profit“-E-Learning-Universität (National Egyptian E-learning University) mit Sitz in Kairo und Filialen in der Provinz hat sich seit 2008 gut etabliert; diese Expertise wird im Rahmen der allgegenwärtigen Digitalisierungsstrategien und auch aufgrund der Corona-Krise 2020 immer mehr an Bedeutung gewinnen. In der Regel bemühen sich die staatlichen Universitäten, Volluniversitäten zu sein und alle Fachbereiche abzudecken. Für die Genehmigung und die Struktur von Studiengängen an staatlichen Hochschulen, für Zulassungsvoraussetzungen und Einschreibequoten ist zusammen mit dem Hochschulministerium (Ministry of Higher Education and Scientific Research) der Supreme Council of Universities zuständig. Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten sowie Dekane und Dekaninnen werden seit 2014 durch den Staatspräsidenten ernannt, der seine Entscheidung auf der Basis von Vorschlagslisten fällt. Private Hochschulen haben bisher trotz wiederholter Versuche staatlicher Einflussnahme größere Freiheiten, benötigen jedoch ebenfalls eine staatliche Genehmigung, um überhaupt arbeitsfähig zu sein: Aus diesem Grund müssen sie die Vorschriften des Supreme Council of Private Universities einhalten, der ebenfalls dem Hochschulministerium untersteht und sich direkt mit dem Supreme Council of Universities abstimmt.


Die schiere Größe der Hochschulen und der weitgehende Mangel an Autonomie haben ihre Konsequenzen: Die Lehrveranstaltungen sind überfüllt, die Infrastrukturen überlastet. Ein oft beklagtes Manko ist der fehlende Praxisbezug der Curricula in der Hochschullehre sowie ein Mangel an Innovationstransfer zwischen Forschung und Industrie; Markt- und Bedarfsanalysen in Bezug auf Studienangebote liegen in der Regel nicht vor, finden aber insbesondere bei innovativen Studienangeboten in Kooperation mit internationalen Partnern Beachtung. Angesichts einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventinnen und -absolventen und angesichts der schlechten ökonomischen Situation des Landes wird hier inzwischen auch von Regierungsseite dringender Handlungsbedarf gesehen. Die Etablierung von internationalen Branch-Campus-Gründungen in der neuen administrativen Hauptstadt  sowie in weiteren neu gegründeten Satellitenstädten gilt für die Staatsführung nicht nur als echte Chance, um die Missstände im Hochschulsystem zu beheben, sondern soll zudem Ägypten zu einem regionalen Bildungs-Hub machen. Ein weiterer Schritt zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit der Absolventinnen und Absolventen ist die Gründung so genannter Universities of Technology  mit klarem Praxisbezug, die sich an Fachhochschulmodellen orientieren sollen – ob diese Einrichtungen künftig allerdings in Bezug auf internationale Partnerschaften z.B. den Ansprüchen einer deutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften genügen, bleibt erst einmal dahingestellt, zu groß erscheint derzeit noch der Fokus im Bereich Berufsausbildung. Die staatlichen Universitäten haben zudem auch deshalb bisweilen einen schlechten Stand, da sie oft unter schlechter Ausstattung, unattraktiven Gehältern für Lehrpersonal und starren bürokratischen Strukturen leiden. Als wenig transparent und nicht immer leistungsorientiert gilt das Berufungswesen, Nachwuchskräfte orientieren sich daher bei ihrer Karriereplanung oft auch ins Ausland. Im Jahr 2019 studierten über 4.700 Ägypterinnen und Ägypter in Deutschland. Damit hat sich diese Zahl in den letzten fünf Jahren nahezu verdoppelt (2019: 4.787; 2018: 3.937; 2017: 3.287; 2015/16: 2.706; 2014/15: 2.308).

(Verfasserin: Isabell Mering, Leiterin der DAAD-Außenstelle Kairo)

Der DAAD ist derzeit in Ägypten mit einer Außenstelle in Kairo vertreten. Zudem fördert er fünf Lektorate.