„Forschung zur Demokratie stärken“

DAAD-Alumna Professorin Nicola Fuchs-Schündeln ist die neue Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Im Interview spricht die Wirtschaftswissenschaftlerin über ihre Ziele am WZB, die weltweiten Herausforderungen für liberale Demokratien und ihre prägende Zeit als DAAD-Stipendiatin.
Frau Professor Fuchs-Schündeln, als vor einem Jahr bekanntgegeben wurde, dass Sie die Präsidentschaft des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) übernehmen, sagten Sie: „Die großen Probleme unserer Zeit sind komplex“, und verwiesen auf die Stärke der interdisziplinären Zusammenarbeit am WZB. Welches Problem beschäftigt Sie aktuell am intensivsten?
Aktuell beschäftigt uns insbesondere, wie unsere liberalen Demokratien weltweit herausgefordert werden. In Deutschland haben wir zuletzt bei der Bundestagswahl gesehen, dass es zunehmend schwieriger wird, stabile Mehrheiten zu bilden. Der Wahlerfolg der AfD zeigt die Stärkung extremer Positionen – eine Entwicklung, die weltweit in mehreren Ländern zu beobachten ist, auch in den USA. In Donald Trumps zweiter Amtszeit als US-Präsident droht eine Erosion demokratischer Strukturen; auf missliebige Unternehmen wird ebenso politischer Druck ausgeübt wie auf Universitäten. Die Forschung zur Demokratie hat am WZB eine lange Tradition, die wir in diesen Zeiten erst recht stärken werden. So widmen wir auch die erste interdisziplinäre Jahreskonferenz des WZB der Frage nach der Zukunft der Demokratie: Anfang Oktober 2025 kommen internationale Expertinnen und Experten in Berlin zusammen, um unter anderem Themen wie Polarisierung, das Verhältnis von Wissenschaft und Demokratie oder auch manipulative Kommunikation zu diskutieren.
Sie sprechen die Situation in den USA an: Gibt es angesichts des großen Drucks auf die amerikanischen Universitäten etwas, das Ihnen dennoch Hoffnung macht?
Die Situation ist ernst, aber der im April veröffentlichte Protestbrief von mehr als 100 US-Universitäten gegen die Politik des Präsidenten ist ebenso ein wichtiges Zeichen wie die internationale Solidarität mit der amerikanischen Wissenschaftscommunity. Wir sollten über Ländergrenzen hinweg entschlossenen Widerstand gegen Einschränkungen der wissenschaftlichen Freiheit leisten und die amerikanischen Forschenden unterstützen, wo es nur geht.
Zu Ihren eigenen Forschungsschwerpunkten zählt die Beschäftigung mit sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Welche Bedeutung hat dieses Thema mit Blick auf die Gefährdung der Demokratie?
Hier lohnt ein differenzierender Blick. In Deutschland beobachten wir zum Beispiel keine dramatischen Entwicklungen hin zu größerer ökonomischer Ungleichheit. Bezüglich der Unterstützung für die Demokratie zeigt die Forschung aber sehr deutlich, wie wichtig nicht das eigene Einkommen, sondern das persönliche Umfeld ist. Ärmere Menschen in wirtschaftsstärkeren Regionen stellen die Demokratie eher nicht in Frage. Anders sieht es dagegen aus, wenn die eigene Region aus mehreren Gründen als „abgehängt“ empfunden wird. Es geht dann weniger um die Frage, ob sich jemand als arm oder reich empfindet, sondern vielmehr darum, welche Möglichkeiten man vor Ort vorfindet: Wie sieht die öffentliche Infrastruktur aus? Kann das Kind auf eine vernünftige Schule gehen? Fühle ich mich vom Staat wahrgenommen?
Der populistische Ruf nach einem starken Mann verfängt leider immer wieder.
Wie kann die Wissenschaft die Menschen besser erreichen?
Wir müssen leider feststellen, dass weltweit nicht nur Wissenschaftsskepsis zunimmt, sondern dass auch pseudowissenschaftliche Argumente an Einfluss gewinnen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der neue US-Gesundheitsminister Kennedy mit seinen dubiosen, unter anderem impfkritischen Theorien. Die Wissenschaftsvermittlung sollte unter anderem an den Schulen gestärkt werden. Es kommt darauf an, frühzeitig zu vermitteln, wie sich Informationen korrekt einordnen lassen. Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Gesellschaft ist uns am WZB besonders wichtig.
Die Bedeutung der Wirtschaft für das Leben der Menschen war für Sie früh prägend. Ihre Zeit als DAAD-Stipendiatin in Argentinien haben Sie einmal als richtungsweisend für ihren weiteren Weg beschrieben.
Ja, das war sie absolut. Ich studierte „Regionalwissenschaften Lateinamerika“ an der Universität zu Köln und kam 1995 mit einem DAAD-Stipendium für ein halbes Jahr an die Universität der nordargentinischen Provinz Tucumán. Dort belegte ich Kurse in Wirtschaft und Romanistik und machte auch ein Praktikum bei der lokalen Sparkasse in der Abteilung, die Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergab. Argentinien wurde damals von den Folgen der von Mexiko ausgehenden „Tequila-Krise“ erfasst, durch die es in mehreren lateinamerikanischen Ländern zu massiven Geldabflüssen kam. Ich erlebte auf unmittelbare Weise die Nöte der Unternehmen und Menschen und auch, was die wirtschaftliche Entwicklung für das Leben der Menschen bedeutet – und wie schnell Demokratie und Menschenrechte unter Druck geraten können. Mit einer anderen DAAD-Stipendiatin startete ich damals ein Filmprojekt über den späteren Gewinner der Gouverneurswahl in Tucumán. Er war nachweislich in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Letztlich wurde er dennoch gewählt. Der populistische Ruf nach einem starken Mann verfängt leider immer wieder. Das Thema, wie sehr Politik und Wirtschaft miteinander verbunden sind, begleitet mich bis heute.
Interview: Johannes Göbel (21. Mai 2025)