„Leadership for Syria“: Ein lebensveränderndes Stipendium
Nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 feierten die Menschen in Syrien - doch in Freude und Hoffnung mischten sich auch Unsicherheit und Angst. Wie haben ehemalige Geförderte des DAAD-Programms Leadership for Syria (LfS) den Sturz erlebt – und welche Hoffnungen haben sie jetzt für ihr Land? Das DAAD Journal hat mit zwei jungen Menschen darüber gesprochen, wie sie sich jetzt in den Wiederaufbau Syriens einbringen wollen.
„Das Stipendium kam für mich wie eine Rettung!“
Jumana Alasaad, 35, aus Aleppo, Absolventin im Fach Archäologie, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
„Wie ich vom Sturz des Assad-Regimes gehört habe? Ich habe nicht davon gehört, ich habe es erlebt! In meiner Wohnung in Heidelberg zwar, aber wir waren alle wach, alle meine Freunde, wir waren alle online und vor dem Fernseher, ich wollte jede Sekunde miterleben! Das ist vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer, so etwas passiert, wenn überhaupt, nur einmal im Leben. Um drei Uhr früh am 8. Dezember 2024 habe ich geweint: 14 Jahre Tyrannei waren vorüber, aber ich hatte auch Angst. Was passiert jetzt mit meinem Land? Ich habe sofort an unsere Museen in Damaskus und Aleppo und wichtige Welterbestätten gedacht, und hatte die Bilder aus Bagdad im Kopf, wo 2003 viele Kulturerbestätten zerstört und geplündert worden sind. Doch bisher ging zum Glück alles gut, auch wenn die Lage nicht perfekt ist.
„Es war Geld für den Krieg da, aber kein Geld für Bildung“
Ich wollte schon immer mit deutschen Archäologen zusammenarbeiten, sie leisten eine wundervolle Arbeit! Daher habe ich schon 2013 in meiner Heimatstadt Aleppo angefangen, Deutsch zu lernen, und ein Stipendium des syrischen Bildungsministeriums für ein Masterstudium an der Uni Heidelberg erhalten. Ich reiste unter Kanonenfeuern von Damaskus nach Beirut, um die B1-Deutschprüfung im Goethe-Institut abzulegen. Das Visum erteilte die Botschaft in Ankara. Der Weg dorthin durch das geteilte Aleppo war sehr gefährlich, zum Glück ging alles gut.
Das ,Leadership for Syria‘-Programm hat mich noch stärker mit Syrien verbunden. Jumana Alasaad
Als sich der Krieg zuspitzte, strich die syrische Regierung die Finanzierung meines Stipendiums. Es war Geld für den Krieg da, aber kein Geld für Bildung. Das ,Leadership for Syria‘-Stipendium kam für mich wie eine Rettung! Die Bewerbung war nicht einfach, mehr als 5.000 Syrerinnen und Syrer bewarben sich, doch ich habe es geschafft. Das Stipendium war sehr besonders für mich: Nicht nur, dass es sich ausdrücklich an Syrerinnen und Syrer richtete, sondern es vermittelte auch sehr viel Wissen und Fähigkeiten über die Bedeutung von Demokratie, Menschen- und Frauenrechte. Ohne das LfS-Stipendium hätte ich mein Masterstudium nicht abschließen können und nicht so gut Deutsch gelernt. Das Programm hat mich noch stärker mit Syrien verbunden.
Momentan erhalte ich ein PhD-Stipendium für meine Promotion über Kulturtransfer und Technologiewandel im nordöstlichen Mesopotamien des 3. Jahrtausends v. Chr. und arbeite nebenbei im Migrationsbeirat der Stadt Heidelberg. Das ist auch sehr wichtig, gerade in der aktuellen Situation.
Durch das LfS-Programm habe ich 200 Syrerinnen und Syrer aus dem akademischen Bereich kennengelernt. Über all die Jahre hinweg standen wir in ständigem Kontakt. Jetzt ist der Austausch noch intensiver geworden. Zusammen mit einigen Teilnehmenden haben wir nach dem Sturz des Regimes die syrisch-archäologische Gesellschaft gegründet und beobachten Verletzungen des syrischen Kulturerbes genau. Wir sind immer in Kontakt und beobachten, ob irgendwo etwas beschädigt oder geraubt wird. Das melden wir dann der Polizei.
Europa als Vorbild
Frieden ist aktuell das allerwichtigste für Syrien. Wenn Frieden ist, wird alles möglich sein. Ich hoffe, dass das Syrien der Zukunft liberal sein wird. Dass alle Religionen und Akteure gleichberechtigt miteinander leben können und jeder und jede Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung hat.
Ich beobachte die Situation genau, wann es für mich als Archäologin sicher ist, nach Syrien zurückzukehren. Doch man kann auch aus Deutschland viel tun, so wie wir Absolventen des LfS-Programms uns jetzt beispielsweise einbringen. Europa zeigt uns, dass Länder auch nach Kriegszeiten wieder auf die Füße kommen können. Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg auch komplett zerstört und hat dennoch einen bemerkenswerten Fortschritt und Wiederaufbau erreicht – auch durch den großen Einsatz der Frauen.“
„Mein Leben hat eine neue Richtung genommen“
Mustafa Karahamad, 34, aus Damaskus, Masterabsolvent der Universität Siegen, Berater bei der Bundesagentur für Arbeit und assoziierter Wissenschaftler am Peace Research Institute Frankfurt
„Zwei Nächte lang habe ich kaum geschlafen, ich habe die Entwicklungen in Syrien genau verfolgt, bis ich in den frühen Morgenstunden des 8. Dezember 2024 meinen Vater in Damaskus angerufen habe. Ich habe ihm gesagt: ,Papa, Assad ist gestürzt!‘ Er konnte es nicht glauben, bis er junge Männer in Unterhosen am Straßenrand entlanggehen sah. Das waren die Befreiten aus den Gefängnissen des Regimes. Auch ich konnte es kaum fassen. Dieser Tag war ein Traum, eine Wiedergeburt, wir sind neu geboren!
Wie durch ein Wunder kam ich beide Male wieder aus dem Gefängnis frei. Aber mir war bewusst: Eine dritte Verhaftung würde ich nicht überleben. Mustafa Karahamad
Ich habe mein Land Ende 2013 verlassen, nachdem ich im Jahr 2011 zweimal wegen der Teilnahme an friedlichen Protesten verhaftet worden war. Wie durch ein Wunder kam ich beide Male wieder aus dem Gefängnis frei. Aber mir war bewusst: Eine dritte Verhaftung würde ich nicht überleben. Ich entschied mich daraufhin dafür, nur noch humanitäre Hilfe für Vertriebene aus Homs zu leisten – doch leider galt auch das im Jahr 2012 in den Augen der Regierung als ,Beleidigung des Staates und Bedrohung der öffentlichen Ordnung‘.
Als ich zum Militär eingezogen werden sollte, floh ich Ende 2013 in den Libanon und arbeitete für eine Flüchtlingsorganisation in einem UNICEF-Schulungsprogramm. Ein Freund erzählte mir von einem neuen DAAD-Programm für geflüchtete syrische Studierende, das ,Leadership for Syria‘-Programm (LfS). Mein Bewerbungsgespräch fand in der Türkei statt. Professorinnen und Professoren aus Deutschland waren extra angereist. Was für ein Türöffner dieses Programm für mich sein sollte, merkte ich schon bei der Bewerbung für ein Visum: Mit Unterstützung des DAAD habe ich sofort einen Termin in der deutschen Botschaft bekommen, zwei Wochen später konnte ich nach Deutschland reisen. Zuerst lernten alle Stipendiatinnen und Stipendiaten vier Monate lang in Marburg Deutsch, danach begann ich mein Studium in Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Siegen auf Englisch.
Wir brauchen den echten Willen zur Versöhnung. Mustafa Karahamad
Es war früher schon immer ein Traum gewesen, in Europa zu studieren. Während des Aufstands und der Zeit im Gefängnis war diese Vorstellung aber in weitere Ferne gerückt. Über das ,Leadership for Syria‘-Programm doch noch dazu zu kommen, wenn auch anders als geplant, hätte ich nicht für möglich gehalten. Mein Leben hat eine andere Richtung genommen. Ich spreche jetzt eine weitere Sprache, lebe in Deutschland und arbeite als Berater bei der Bundesagentur für Arbeit. Ich bin dem DAAD sehr dankbar!
Syrien braucht die Unterstützung seiner Freunde in Europa
Meine Vision für Syrien ist die eines demokratischen und pluralistischen Landes und eines Lebens in Frieden. Es braucht eine gerechte Verfassung, aber wir brauchen auch den echten Willen zur Versöhnung. Was ich jetzt sehe, gibt mir viel Hoffnung. Ich hoffe, dass die Zukunft eine stabile Politik mit politischen Institutionen in Syrien bringen wird. Dazu wird Syrien die Unterstützung seiner Freunde in Europa brauchen.
Kurz nach dem 8. Dezember schrieb ich meinen ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem LfS-Programm, ob wir nicht eine Initiative gründen wollen, und den Menschen in Syrien das Wissen, das wir im Programm gewonnen haben, als Hilfestellung für den Wiederaufbau anbieten wollen. Wir haben in Konstanz 18 Module zum gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau eines Landes in der Zeit nach einem Konflikt studiert. 17 Absolventinnen und Absolventen und ich haben die Module in kleine Berichte zusammengefasst und daraus 18 Grafiken auf Facebook, Instagram und LinkedIn veröffentlicht.
Einige LfS-Absolventinnen und Absolventen bauen zurzeit den syrischen Wissenschaftsrat auf, um den Verantwortlichen in Syrien eine wissenschaftsbasierte Politikgestaltung zu ermöglichen. Ich bin auch an dieser Arbeit beteiligt und wir sind im ,Syrian Science Council‘ offen für Kooperationen mit wissenschaftlichen Instituten in Europa und darüber hinaus.
Wir wollen zur Zukunft Syrien beitragen, indem wir unser Wissen an die Zivilgesellschaft weitergeben. Wie es weitergeht, liegt jetzt in der Verantwortung der aktuellen syrischen Regierung. Ich hoffe, dass sie beim Aufbau der Institutionen, die das Baath-Regime in Syrien zerstört hat, von den Erfahrungen der syrischen Diaspora profitieren werden.“
Protokolle: Sarah Kanning (07. Februar 2025)