Internationale Studierende – eine Chance für Deutschland

Jeder Jahrgang internationaler Studierender trägt langfristig rund achtmal mehr zu den Einnahmen der öffentlichen Haushalte bei als der Staat für ihn per Saldo investiert. Dies zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee und IW-Präsident Professor Michael Hüther ordnen die Ergebnisse ein.
Herr Professor Mukherjee, in der 100-jährigen Geschichte des DAAD gibt es zahlreiche Beispiele, die belegen, welch immensen Beitrag der akademische Austausch leistet – wissenschaftlich, für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Letzteres wurde mithilfe des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nun auch mit ökonomischen Berechnungen und konkreten Zahlen belegt. Warum sind diese Ergebnisse wichtig?
Professor Joybrato Mukherjee: Die Studie belegt erstmalig umfassend aufgrund wissenschaftlicher Daten, welchen enormen Beitrag internationale Studierende für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands leisten. Das ist nicht nur eine Bestätigung und Unterstützung für die deutschen Hochschulen, die ihre Internationalisierung seit Jahren als strategisches Handlungsfeld vorantreiben und die Gewinnung und Qualifikation internationaler Studierender systematisch unterstützen. Auch für unsere eigene Arbeit im DAAD liefern die Ergebnisse ein wichtiges Argument: Die Investition in internationale akademische Kooperation und die Internationalisierung unseres Hochschulsystems lohnt sich – sie zahlt sich volkswirtschaftlich um ein Vielfaches aus.
Deswegen kommt diese Studie auch zum rechten Moment: In Zeiten, in denen sich internationale Kooperation und Zusammenarbeit zunehmend kritischen Fragen ausgesetzt sehen, ist der Nachweis des enormen Gewinns, den internationale Studierende für den Standort Deutschland bedeuten, ein wichtiges politisches Argument. Wir hoffen hier auf das notwendige Engagement auch der neuen Bundesregierung. Das Potenzial, von dem wir dabei sprechen, ist riesig: Schon heute ist Deutschland das wichtigste nicht-englischsprachige Zielland internationaler Studierender weltweit.
Herr Professor Hüther, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse der Studie? Und welche haben Sie besonders überrascht?
Professor Michael Hüther: In der plausiblen Variante zur künftigen Bleibequote bewirkt allein ein aktueller Anfängerjahrgang über den Lebenslauf hinweg einen positiven Effekt auf die öffentlichen Haushalte in Höhe von rund 15,5 Milliarden Euro. Positiv überrascht hat uns, wie hoch der Gewinn für die öffentlichen Haushalte selbst noch in einer pessimistischen Variante mit niedriger Bleibequote ausfällt. Und wie positiv der Effekt auf das BIP-Wachstum ist. Durch die zunehmende Überalterung der Gesellschaft ist mit einem Absinken der jährlichen Wachstumsrate in den kommenden Jahren um 0,5 Prozentpunkte zu rechnen. Rund ein Fünftel des Rückgangs der Wachstumsdynamik kann kompensiert werden, wenn jährlich wie im Jahr 2022 rund 79.000 internationale Studierende mit Abschlussabsicht in Deutschland ihr Studium beginnen.
Laut Ihrer Analyse amortisieren sich die Kosten für die Ausbildung internationaler Studierender bereits nach wenigen Jahren. Wie erklären Sie diesen schnellen Return on Investment?
Hüther: Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die Studierenden bereits während des Studiums einen Teil der Kosten der öffentlichen Hand für das Studium decken – durch Einkommensteuern aus Nebentätigkeiten und vor allem durch Konsumsteuern. Zudem gelingt ihnen der Übergang in den Arbeitsmarkt leichter und besser als Hochqualifizierten, die mit einem Abschluss aus dem Ausland zuwandern. Die Beiträge zu Einkommens- und Konsumsteuern sowie zu den Sozialversicherungen sind in den ersten Erwerbsjahren bereits so hoch, dass sich die Kosten des Studiums für die öffentliche Hand rasch refinanzieren.

Welchen Beitrag leisten internationale Studierende langfristig zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands?
Hüther: In den nächsten zehn Jahren wird der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung stark zurückgehen und damit die Wachstumsdynamik abnehmen. Internationale Studierende, die nach ihrem Abschluss in Deutschland bleiben und als hochqualifizierte Fachkräfte arbeiten, erhöhen die Wertschöpfung, verbessern die Voraussetzungen für Wachstum und Wohlstand und verbreitern die Einnahmenbasis für Steuern und Sozialversicherungen. Die Einnahmen der öffentlichen Hand sind langfristig weit höher als die Ausgaben während der Phase des Studiums, und der positive Effekt ist umso größer, je mehr Studierende nach dem Abschluss bleiben.
Der zentrale Faktor für den volkswirtschaftlichen Nutzen internationaler Studierender ist demnach die Verbleibquote, also der Übergang internationaler Absolventinnen und Absolventen in den deutschen Arbeitsmarkt. Berücksichtigt die Internationalisierung der Hochschulen diese Perspektive auf internationale Studierende als Fachkräfte schon ausreichend?
Mukherjee: Wir haben eine ausgezeichnete Ausgangslage: Die Anzahl internationaler Studierender in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren um rund 74 Prozent gestiegen. Hierzu haben die deutschen Hochschulen einen wesentlichen Beitrag geleistet. Vor allem die Qualität des Studiums in Deutschland, aber auch das wachsende Angebot an englischsprachigen Studienprogrammen sind Gründe für die Entscheidung internationaler Studierender, nach Deutschland zu kommen. Das große Potenzial, das internationale Studierende für die Gewinnung hochqualifizierter Fachkräfte bieten, haben wir bereits Anfang 2023 in unserem Positionspapier „Internationale Studierende – Fachkräfte von morgen“ in den Blick genommen. Unsere grundlegende Empfehlung war damals, noch stärker auf den Aspekt der Integration internationaler Studierender in den Arbeitsmarkt zu fokussieren. Die im vergangenen Jahr publizierte Internationalisierungsstrategie von Bund und Ländern (2024–2034) greift diesen Aspekt systematisch auf. Auch weitere Akteure wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer, die Bundesagentur für Arbeit und Wirtschaftsverbände haben die Bedeutung internationaler Studierender für die Fachkräftegewinnung erkannt und engagieren sich zunehmend gemeinsam mit den deutschen Hochschulen.
Einen zentralen Baustein für das Engagement der deutschen Hochschulen bildet das im vergangenen Jahr gestartete, aus Mitteln des BMBF finanzierte DAAD-Programm Campus-Initiative Internationale Fachkräfte. Mit rund 120 Millionen Euro für fünf Jahre fördert es Maßnahmen zur Verbesserung von Integration und Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt an deutschen Hochschulen. Die Projekte zeigen, welche innovativen und erfolgreichen Ideen es an den deutschen Hochschulen gibt – sei es in den Fachbereichen, in den International Offices und in den Career Centres, um den Studienerfolg und die Integration internationaler Studierender in den deutschen Arbeitsmarkt zu stärken.
Wir haben eine ausgezeichnete Ausgangslage: Die Anzahl internationaler Studierender in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren um rund 74 Prozent gestiegen.
Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, DAAD-Präsident
Als Fachkräfte stehen internationale Studierende erst dann zur Verfügung, wenn sie über ihren Studienabschluss hinaus im Land bleiben. Wie ist die Situation diesbezüglich in Deutschland?
Hüther: Eine Studie der OECD kommt zu dem Ergebnis, dass sich etwa 45 Prozent der internationalen Studienanfänger zehn Jahre später noch in Deutschland aufhalten. Das ist mit Kanada eine der höchsten Bleibequoten weltweit. Künftig könnte dieser Anteil noch steigen. Viele der Studierenden wollen bleiben. Die Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung haben sich in den letzten Jahren verbessert, und auch das Potenzial der Zuwanderung über die Hochschulen als strategisches Element der Fachkräftesicherung wird zunehmend erkannt. Dies gewinnt auch in der Arbeit des DAAD und anderer wichtiger Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an Bedeutung.

Vor welchen Hürden und Herausforderungen stehen denn internationale Studierende und vielleicht auch die Hochschulen, wenn es um Ankommen, Studienerfolg und Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt geht?
Mukherjee: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass wir in Deutschland erfreulicherweise schon seit über zehn Jahren auch im internationalen Vergleich gute aufenthaltsrechtliche Rahmenbedingungen haben, die es internationalen Studierenden unter anderem ermöglichen, nach Studienabschluss eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Dies trägt – wie wir aus Studierendenbefragungen wissen – auch zur Attraktivität des Studienstandorts Deutschland bei. Es gibt jedoch weiterhin auch Herausforderungen für internationale Studierende, an deren Abbau wir in Politik und Gesellschaft gemeinsam arbeiten müssen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei eine gelebte Willkommenskultur in Gesellschaft und Unternehmen. Wenn wir die besten internationalen Talente gewinnen wollen, müssen wir sie mit offenen Armen empfangen – das gilt für unsere Gesellschaft als Ganzes ebenso wie für den einzelnen Betrieb, der händeringend nach qualifiziertem Nachwuchs sucht.
Weitere Herausforderungen, die wir in den Blick nehmen sollten, sind administrative Abläufe, insbesondere die teilweise sehr langen Wartezeiten für Studierendenvisa. Hinzu kommen grundsätzliche Herausforderungen wie der Mangel an studentischem Wohnraum, der natürlich nicht nur internationale Studierende betrifft, diese aber vor besonders schwierige Situationen stellt. Dass das Leben und Studieren in einem fremden Land immer auch eine persönliche Herausforderung darstellt – individuell, sprachlich und auch finanziell – brauche ich nicht hervorzuheben.
Sie benennen wichtige Punkte, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Blick behalten müssen, um internationale Absolventinnen und Absolventen für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Welche Aufgabe kommt den Hochschulen hierbei zu?
Mukherjee: Die Hochschulen fokussieren in ihrem Engagement für internationale Studierende als Fachkräfte von morgen vor allem drei Ansatzpunkte: An erster Stelle steht da die Gewinnung von Talenten weltweit und die sprachliche, gegebenenfalls auch fachliche Vorbereitung auf das Studium. Zweitens folgt die Begleitung und Integration während des Studiums mit dem Ziel möglichst hoher Studienerfolgsquoten und schließlich die Unterstützung beim Übergang in den Arbeitsmarkt. Die Projekte der Campus-Initiative adressieren genau diese Bedarfe. Dabei geht es auch um die gezielte Förderung deutscher Sprachkenntnisse. Für die Integration ins Studium, in das Land – aber vor allem auch in den Arbeitsmarkt – sind diese essenziell. Dies gilt in besonderem Maße für Studierende in englischsprachigen Programmen.
Insbesondere mit Blick auf die erfolgreiche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt bedarf es eines eng abgestimmten Vorgehens zwischen den Hochschulen sowie den zukünftigen Arbeitgebern und weiteren relevanten Akteuren in Politik und Gesellschaft. Wir gestalten deswegen im Rahmen der Campus-Initiative bewusst auch Stakeholder-Formate und Politikdialoge, die die unterschiedlichen Akteursgruppen zusammenbringen, um gemeinsame Handlungsansätze zu finden. Gerade auf regionaler Ebene gibt es teilweise schon sehr gut funktionierende Netzwerke von Hochschulen mit Wirtschaftsunternehmen und weiteren relevanten Akteuren der Arbeitsmarktintegration.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht wichtig? An welchem Hebel könnte und sollte man ansetzen, um die Bleibeabsichten und -möglichkeiten zu verbessern und das Potenzial internationaler Studierender voll auszuschöpfen?
Hüther: Wir müssen die Attraktivität Deutschlands als Studien-, Lebens- und Arbeitsort weiter steigern. Dazu gehören schnellere bürokratische Verfahren bei Visaanträgen sowie mehrsprachige Informations- und Studienangebote. Wichtig sind eine Willkommenskultur in der Gesellschaft sowie Offenheit und Wertschätzung von Vielfalt. Und eine nachhaltig gesicherte Begleitung internationaler Studierender an Hochschulen – sprachlich und fachlich, bei der Karriereberatung und Berufsvorbereitung.
Wir müssen die Attraktivität Deutschlands als Studien-, Lebens- und Arbeitsort weiter steigern. Wichtig sind eine Willkommenskultur in der Gesellschaft sowie Offenheit und Wertschätzung von Vielfalt.
Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft
Herr Professor Mukherjee, wie geht der DAAD mit den Herausforderungen eines möglichen Brain Drains von anderen Ländern nach Deutschland um?
Mukherjee: Ich halte es für bedeutsam, dass die IW-Studie in ihren Empfehlungen explizit herausstellt, dass es nicht darum geht, alle internationalen Studierenden in Deutschland zu halten. Ein Teil der bei uns akademisch ausgebildeten Absolventinnen und Absolventen kehrt später in ihr Heimatland zurück und bringt neben ihren Qualifikationen auch wichtige Netzwerke mit – von denen natürlich auch wir profitieren. Hier geht es also nicht um Brain Drain, sondern um „Brain Circulation“. Aber auch im Kontext der Fachkräftegewinnung folgen wir den Prinzipien fairer Migration: Fachkräftemigration muss ein Gewinn für das Individuum, für Deutschland und für das Herkunftsland sein. In vielen Herkunftsländern herrscht ein Überangebot an jungen Arbeitskräften, teilweise fehlen – wie in Indien – ausreichend Studienplätze. Zudem profitieren die Herkunftsländer teilweise erheblich von den Devisenüberweisungen der Diaspora im Ausland.
Ich möchte weiterhin hervorheben, dass der DAAD mit eigenen Förderprogrammen – wie zum Beispiel den transnationalen Bildungsangeboten im Ausland – gezielt die Ausbildung von akademischen Fach- und Führungskräften im Ausland unterstützt. Diese stehen dann dem heimischen Arbeitsmarkt und auch deutschen Firmen im Ausland als qualifizierte Talente zur Verfügung.
Welche Botschaft möchten Sie der Politik mit auf den Weg geben, um das Potenzial internationaler Studierender für den Wirtschaftsstandort Deutschland optimal zu nutzen?
Hüther: Nicht die Einnahmen aus Studiengebühren sind für Deutschland ökonomisch entscheidend, sondern dass möglichst viele der Studierenden, die das wollen, nach ihrem Abschluss in Deutschland bleiben. Hierfür ist es lohnend, sich gemeinsam stärker für mehr Willkommenskultur zu engagieren.
Mukherjee: Ich kann Herrn Hüther nur zustimmen: Es bedarf eines gemeinsamen Vorgehens aller zentralen Akteure aus Politik, Hochschulen und Wirtschaft. Speziell an die Politik geht der Appell, in die Unterstützung und Begleitung internationaler Studierender zu investieren. Das betrifft die nachhaltige Finanzierung der Hochschulen und ihrer Internationalisierungsstrukturen, den weiteren Abbau bürokratischer Hürden und die Beschleunigung von administrativen Prozessen und die Stärkung von Willkommensstrukturen. Nur so können wir das wertvolle Potenzial internationaler Studierender – wissenschaftlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich – heben.
Interview: Klaus Lüber (31. März 2025)