Im Einsatz für akademische Grundwerte

Drei Personen in nebeneinander angeordneten Porträtfotos: links ein Mann im Anzug mit verschränkten Armen, in der Mitte eine Frau mit Brille und schwarzem Pullover, und rechts ein Mann in grauem Hemd vor einem Bücherregal, alle lächelnd.

Für fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist Wissenschaftsfreiheit 2024 keine Realität – und die Tendenz verstärkt sich. Doch unabhängige Forschung ist wichtig. Sie ist nicht nur eine im Grundgesetz festgehaltene individuelle Freiheit, sondern fördert auch Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt sowie das in einer Demokratie unerlässliche kritische Denken. Der DAAD rückt das Thema in den Fokus. 

„Wir nehmen die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in Europa als selbstverständlich – doch das ist sie nicht“, sagt DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. „Die letzten Wochen, Monate und Jahre haben gezeigt, dass wir unsere Freiheiten gegen Populismus, politische Einflussnahme und Desinformation schützen müssen. Nur so können wir unsere akademische und europäische Wertegemeinschaft langfristig erhalten.“ Zum zweiten Mal hat der DAAD 2024 daher den mit insgesamt 18.000 Euro dotierten Fundamental Academic Values Award an Nachwuchsforschende vergeben. Ausgezeichnet wurden eine rumänische Nachwuchswissenschaftlerin sowie zwei Forscher aus Deutschland und Brasilien für ihre Arbeiten zur Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie. Wir stellen sie vor.

1. Platz: Prof. Dr. Daniela Craciun von der Universität Twente, Niederlande

Daniela Craciun befasst sich in ihrer Arbeit mit dem Monitoring für die Einhaltung akademischer Grundwerte in Europa. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat sie beispielsweise untersucht, in welchem Maße die akademische Freiheit auch in demokratischen Staaten verletzt wird. „Viele sind der Meinung, dass Wissenschaftsfreiheit in der EU kein Thema ist, da ihre Achtung dort recht hoch ist. Auch wenn in vielen unserer Länder ein gesetzlicher Schutz besteht, sehen wir eine Aushöhlung der Mechanismen, die die Ausübung dieses Rechts fördern“, erklärt sie. Craciun ist Assistenzprofessorin für Hochschulpolitik an der Universität Twente und kennt die verschiedenen Hochschulsysteme auch aus eigener Erfahrung. Die gebürtige Rumänin hat vor ihrer Zeit in den Niederlanden bereits in Brasilien, Deutschland, Großbritannien, Indien, Myanmar, Polen, Ungarn und den USA gelehrt oder geforscht. Der Einsatz für die Wissenschaftsfreiheit liege ihr auch persönlich am Herzen und sie sei stolz, mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur besseren Messbarkeit von Wissenschaftsfreiheit im Europäischen Hochschulraum und darüber hinaus leisten zu können. Dafür den DAAD-Grundwerte-Preis zu erhalten, bedeute ihr viel: „Das ist eine Anerkennung meiner Arbeit. Aber diese Auszeichnung ehrt nicht nur Personen, die Beiträge in diesem Bereich leisten, sondern schärft auch das Bewusstsein für die Bedeutung dieser Werte und dieses Forschungsgebiets im Allgemeinen.“

2. Platz: Dr. Lars Lott, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Lars Lott hat in seiner Arbeit eine Methode vorgelegt, wie man Niedergangs- und Wachstumsepisoden von Wissenschaftsfreiheit messen kann. In einem historischen Vergleich untersucht er, wie akademische Freiheit mit politischen Prozessen wie Demokratisierung oder Autokratisierung zusammenhängt. Die Wissenschaftsfreiheit hat in vielen Ländern um die 1990er-Jahre einen Aufschwung erlebt. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren häuften sich hingegen eher Phasen, in denen die Wissenschaftsfreiheit teils drastisch abnahm, auch in Europa. „Ein alarmierender Befund“, sagt Lott. „Das ist vor allen Dingen in bevölkerungsreichen Ländern der Fall, beispielsweise in Bangladesch, Indien, Russland oder in den USA. Wir sehen, dass solche Niedergangsepisoden häufig mit der Regression der Demokratie zusammenhängen.“ Aber auch weniger bevölkerungsreiche Länder wie Großbritannien zählen dazu. Und: Wissenschaftsfreiheit gerate nicht nur in Autokratien in Gefahr, sondern auch in manchen liberalen Demokratien. „Das ist besonders dann der Fall, wenn in liberalen Demokratien die Demokratie unter Druck gerät und antipluralistische Parteien die Regierung stellen.“ In den meisten liberalen Demokratien sei die Wissenschaftsfreiheit aktuell aber noch relativ gut geschützt. „Auch ich kann hier frei forschen an genau den Fragen, die mich interessieren“, so Lott. Der Fundamental Academic Values Award sei dafür eine schöne Anerkennung. 

3. Platz: Fernando Romani Sales, M.A., Doktorand im Fachgebiet Constitutional Law der Universität São Paulo

Fernando Romani Sales untersucht in seiner Arbeit gefährdete Demokratien und zeigt in einem Ländervergleich, wozu politische Autokratisierungsprozesse im Bildungsbereich führen können. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen verglich er Brasilien mit Indien, Polen, der Türkei und Ungarn. „In diesen Ländern sind ähnliche politische Trends zu beobachten“, erklärt Sales. „Demokratisch gewählte Regierungen nutzen politische Mechanismen wie Gesetzesänderungen, um die Demokratie dann zu untergraben.“ Die Einflussnahme reiche von der Besetzung bildungspolitischer Positionen über die Verteilung von Budgets bis zur Leugnung wissenschaftlicher Ergebnisse. Das Team aus Brasilien trägt mit seiner Arbeit zu einem besseren Verständnis dieser Mechanismen bei. Sales ist Jurist und befasst sich in seiner Forschung zu Freiheit und Autoritarismus schwerpunktmäßig mit dem Thema Hochschulautonomie. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Bildung eine große politische, soziale und ökonomische Macht sein kann, um etwas zu verändern. Sie kann aber genauso gut für autoritäre Zwecke missbraucht werden.“ Die Auszeichnung mit dem Grundwerte-Preis war für Sales eine freudige Überraschung. „Mehr noch als die persönliche Anerkennung schätze ich, dass damit Menschen aus dem Wissenschafts- und Bildungsbetrieb weltweit unterstützt werden.“

Die feierliche Verleihung des Grundwertepreises findet im Rahmen der Abschlussveranstaltung des diesjährigen Wissenschaftsjahres „Freiheit“ am 10. Dezember 2024 in Berlin statt.

Luca Rehse-Knauf (28. Oktober 2024)



 

Verwandte Themen