„Mond und Mars rücken wieder stärker in den Fokus der Forschung“

Dr. Matthias Maurer neben der ESA-Raumkapsel Orion

Der DAAD- und Erasmus-Alumnus Dr. Matthias Maurer im zweiten Teil seines Interviews über faszinierende Weltraumforschung, seine Zeit auf der Internationalen Raumstation ISS und ein Europa unter Druck.

Hat Sie Ihr europäisches Studium auch auf die Zeit auf der Internationalen Raumstation ISS vorbereitet?
Ja, denn wenn man ein halbes Jahr im All lebt und forscht, dann ist das wichtigste Auswahlkriterium Sozialkompetenz. Man muss auch in stressigen und gefährlichen Situationen alles dafür tun, dass das Team harmonisch und funktionell arbeiten kann. Geht man dieses Abenteuer nur mit einer deutschen Brille an, ist das problematisch. Man muss auch für andere Herangehensweisen offen sein. Und man muss miteinander reden, um zwischenmenschliche Spannungen abzubauen. Niemand bringt den perfekten Lösungsansatz auf die ISS mit. Den muss man sich immer wieder gemeinsam erarbeiten. Die dafür notwendige Offenheit habe ich durch meine Auslandsaufenthalte erworben.
 

Wie begegnen sich unterschiedliche Wissenschaftskulturen auf der ISS?
Es gibt zum Beispiel im Labor unterschiedliche Ansätze. Der amerikanische Ansatz folgt gerne dem Prinzip „fail early, fail often“. Da ist es geradezu erwünscht, dass ein Experiment auch einmal schiefgeht, weil man daraus sehr schnell etwas lernen kann. Beim deutschen Ansatz wird dagegen eher Wert auf einen möglichst perfekten Versuchsaufbau gelegt. Bis der aber gelingt, können Jahre vergehen – und die dazugehörige Fragestellung ist dann vielleicht schon obsolet. Man muss immer einen guten Kompromiss zwischen den verschiedenen Ansätzen finden. Als Wissenschaftler im All nimmt man ohnehin eine neue Rolle an.

Wie meinen Sie das? 
Im All ist man oft eher Laborant als Wissenschaftler. Es ist wichtig zu verstehen, mit welchen Zielsetzungen die von uns durchzuführenden Experimente entwickelt wurden. Man hat eine große Verantwortung und will dazu beitragen, dass die Kolleginnen und Kollegen auf der Erde ihre Daten bestmöglich erhalten. Ich weiß, wie viel Aufwand und Herzblut die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihre Experimente investieren. Manchmal gehören zu einem Experiment zehn Jahre Vorbereitungszeit. Dann will man natürlich nicht derjenige sein, der mit einem Fehler alles kaputt macht.

Die beiden ESA-Astronauten Thomas Pesquet aus Frankreich und Matthias Maurer aus Deutschland demonstrieren das Training unter Mond-Bedingungen in der neuen LUNA Analog Facility des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der European Space Agency im September 2024 in Köln.

Was sind Ihre nächsten wissenschaftlichen Ziele?
Zum einen verfolgen wir weiterhin sehr aufmerksam, welche Erkenntnisse die Experimente auf der ISS bringen. Die Schwerelosigkeit bietet uns außergewöhnliche Bedingungen – und Experimente für die ISS können immer schneller entwickelt werden. Wir sehen erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten. Sogar zum Züchten von Spenderorganen könnten Experimente im All beitragen und dadurch dem extremen Mangel auf der Erde begegnen. Zudem rücken Mond und Mars wieder stärker in den Fokus der Forschung.

Was versprechen Sie sich davon?
Wir haben erst kürzlich herausgefunden, dass der Wüstenplanet Mars riesige Reserven gefrorenen Wassers enthalten könnte. Das ist natürlich spannend mit Blick auf die Frage, ob es auf dem Mars einmal Lebensformen gegeben hat. Vielleicht können wir in diesem Zusammenhang sogar mehr darüber erfahren, wie das Leben auf die Erde gekommen ist. Der Mond könnte für Weltraumreisen zu einem Sprungbrett zum Mars werden: Eine Reise zum Mars würde aktuell zwei Jahre dauern. Dabei wären die Reisenden zu hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, etwa krebserregender Weltraumstrahlung. Das macht den Mond als Zwischenstation noch einmal besonders interessant.

Was gibt es auf dem Mond noch zu entdecken?
Auch auf dem Mond befindet sich gefrorenes Wasser. Es ist wohl zur selben Zeit dorthin gelangt, wie das Wasser auf die Erde. Somit kann auch die Mondforschung dazu beitragen, die Entstehung des Lebens auf der Erde besser zu verstehen. Zudem bietet der Mond außergewöhnliche Ressourcen: Aus Mondsand können wir vielleicht einmal Sauerstoff zur Versorgung der Forschenden gewinnen. Und das angesprochene Mondeis lässt sich eventuell in Raketentreibstoff umwandeln. Der Mond könnte zur Tankstelle für Weltraumflüge werden. Viele der angesprochenen Themen beschäftigen uns bereits am Kölner Astronautenzentrum der ESA. Dort bauen wir aktuell an einer hochmodernen Trainingsanlage für den Mond, von der wir uns wegweisende Erkenntnisse versprechen.

Zu Ihrer Zeit auf der ISS gehört auch der 24. Februar 2022, der Tag, an dem Russland mit seinem Angriff den Krieg gegen die Ukraine begann. Wie hat das Ihr Leben auf der ISS verändert?
Für uns alle auf der ISS war das ein schrecklicher Moment. Die Beleuchtung der ukrainischen Städte verschwand; das Land verdunkelte sich vom All aus betrachtet. Mitten in Europa entstand ein schwarzer Fleck, und mir wurde sofort klar, dass sich das Leben der Menschen dort radikal veränderte. Mich hat das sehr getroffen, weil es für mich im heutigen Europa eigentlich unvorstellbar war. Ich dachte, wir hätten unsere Lektion aus den Kriegen der Vergangenheit gelernt. 

Was wünschen Sie Europa für die Zukunft?
Zuerst natürlich Frieden! Und ich wünsche mir ein Europa, das geeint ist und gemeinsam agiert. Dazu trägt Erasmus bei! Das ist umso nötiger, wenn wir auf die sich verändernde Welt blicken. Asiatische Raumfahrtnationen sind dabei, uns zu überholen. China hat bereits eine eigene Raumstation; Indien arbeitet an einer Raumkapsel, um Astronauten ins All zu fliegen und will zudem ebenfalls eine Station aufbauen. Auch Südkorea und Japan sind sehr aktiv. Wir müssen uns in Europa anstrengen, um in der ersten Liga der Raumfahrt mitzuspielen und damit zum Erhalt unseres Wohlstands und unserer Lebensqualität beizutragen. Nicht nur in den Feldern Wissenschaft und Technologie sollten wir unsere Kräfte bündeln: Es gilt auch, unsere Demokratien robust aufzustellen. Das ist ein großer Wunsch, den ich für Europa habe: dass wir weiterhin gemeinsam wachsen und unsere demokratischen Werte jederzeit schützen.

Johannes Göbel (24. Oktober 2024)


 

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